Erhellende Zeitreise

Der preisgekrönte Podcast „I Will Survive – Der Kampf gegen die Aids-Krise“ vermittelt auf eindrückliche und lebendige Weise die ersten Jahre der HIV-Epidemie
In München betreibt Peter mit seinem Companion Rainer das „Frisco“. Die Schwulenbar im Glockenbachviertel ist eine Institution und 1982 gönnen sie sich eine Auszeit in New York. Im Schlepptau ein Wahl-Münchner, der zu einem engen Freund geworden ist: Freddie Mercury. Und während sich der Queen-Frontmann und Rainer im Darkroom eines Lederclubs vergnügen, kommt Peter mit dem Barkeeper ins Gespräch: „Da geht eine Krankheit rum, und die soll Schwule befallen!“. Peter kommt das damals wie ein schlecht erfundenes, absurdes Gerücht vor. Doch dieser Satz ist ihm haften geblieben – bis heute. Weder Freddie Mercury noch Rainer werden diese neue Krankheit namens Aids überleben.
Diese Erinnerung an den gemeinsame New-York-Trip eröffnet einen siebenteiligen, überaus empfehlenswerten Podcast des Bayerischen Rundfunks.
Phillip Syvarth, der durch die Geschichte führt, ist gemeinsam mit seinem Autor*innenteam Niklas Eckert, Sarah Fischbacher, Meret Reh und Judith Rubatscher etwas sehr Besonderes gelungen. Durch ihre lebendigen Schilderungen ziehen sie die Hörerschaft unmittelbar hinein ins Geschehen und schaffen durch die zahlreichen zu Wort kommenden Zeitzeug*innen Empathie und Identifikationsfiguren. Ihre Erfahrungen stehen stellvertretend für die Schicksale all jener Menschen, die diese ersten zwei Jahrzehnte der Aids-Krise durchlebt und durchlitten haben – und Formen der Solidarität, des Widerstands und andere Wege entwickelt haben, um auf diese Herausforderung zu reagieren.
Martin Tröbs etwa, der in einem Nürnberger schwulen Saunaclub miterlebt, wie Polizeibeamte mit einem Foto nach den Sexpartnern eines angeblich HIV-positiven Mannes suchen. Tröbs wird sich in der neu gegründeten Aidshilfe engagieren und 1987 in München gegen den Bayrischen Maßnahmenkatalog demonstrieren.
Der Münchner Krebsexperte Hans Jäger hatte 1982 ein Stipendium in New York aufgenommen und auf dem Hinflug in der „Süddeutsche Zeitung“ in der Rubrik „Vermischtes“ von einer merkwürdigen Krankheit unter Homosexuellen gelesen – nicht ahnend, dass er sich wenige Wochen später bereits gezielt um solche Erkrankte kümmern und HIV/Aids zu seinem Lebensthema werden würde.
Dem Podcast „I will survive – Der Kampf gegen die AIDS-Krise“ gelingt es so mit persönlichen Geschichten und geschickt eingesetzten Originaltönen aus TV-Berichten, Nachrichtensendungen und Archivinterviews immer wieder authentische und lebendige, fast hörspielartige Szenen zu kreieren: seien es Prinzessin Dianas Besuch der ersten Aids-Station in einem Londoner Krankenhaus oder die aufgebrachte, kämpferische Stimmung 1987 auf der Demonstration gegen den bayerischen Maßnahmenkatalog.
Diese besondere Qualität hat auch die Jury des Medienpreises HIV/AIDS der Deutsche Aids-Stiftung hervorgehoben, die den Podcast im Rahmen der Eröffnung des Deutsch-Österreichischen AIDS-Kongresses in Wien ausgezeichnet hat.
Die „eindringliche und informative Podcast-Serie“ gehe unter die Haut und habe das Zeug, auch junge Menschen zu erreichen. „‘I Will Survive‘“ informiert nicht nur, sondern bewegt“, heißt es in der Jury-Begründung.
Und in der Tat vermittelt der Podcast nicht nur ein sehr umfassendes und vielfältiges Bild der Aidskrise, sondern auch leicht verständlich die politischen Debatten, die gesellschaftliche Atmosphäre jener Zeit und die Reaktionen innerhalb der Communitys. Selbst für Menschen, die diese Periode miterlebt oder sich mit der Aidsgeschichte bereits intensiver beschäftigt haben, werden bis zur letzten Folge dranbleiben. Auch, weil der Podcast bislang wenig belichteten Aspekten Aufmerksamkeit schenkt. Etwa der Lebenssituation von trans* Frauen in den 80er Jahren, die sich ihre Hormone lieber auf dem Schwarzmarkt besorgten, weil die notwendigen psychiatrischen Gutachten zu erhalten, einem Spießrutenlaufen gleichkam.
Ein gutes halbes Dutzend Personen, allesamt in Bayern beheimatet, sind die zentralen Protagonist*innen dieses Podcasts, deren Geschichte und Geschichten über die rund vier Stunden Gesamtlänge als roter Faden dient. Auch wenn der Fokus des Podcasts auf den Geschehnissen im Freistaat liegt, bleiben die Entwicklungen im Bundesgebiet wie auch in den USA – etwa die Proteste von ACT UP – nicht ausgespart. Die Welt-AIDS-Konferenz von Vancouver, auf der mit der HAART-Therapie endlich eine lang ersehnte wirksame HIV-Behandlungsmethode vorgestellt und damit das Ende der Aidskrise eingeläutet wurde, ist der Schlusspunkt der historischen Zeitreise.
Phillip Syvarth erzählt als Host dieses Podcasts aus der Warte eines „nachgeborenen“ schwulen Journalisten und macht immer wieder deutlich: Was diese Menschen damals an Ausgrenzung, Diffamierung und Angst erlebt mussten, hätte ihn ebenfalls getroffen.
Und dann ist da noch jener Mann, der in allen Erinnerungen der Protagonist*innen unweigerlich auftaucht und selbst nach all den Jahrzehnten bei vielen immer noch Wut auslöst: der damalige bayerischer Staatssekretär des Innern und „Master Mind“ des bayerischen Sonderwegs in Sachen Aidspolitik: Peter Gauweiler. Der Aidserkranke als „Aussätzige“ bezeichnete und deren Kasernierung propagierte.
Ihm ist eine Bonus-Folge gewidmet. Einem Gespräch hatte er nur unter sehr bestimmten Bedingungen zugstimmt, wie Phillip Syvarth offenlegt. Wie Gauweiler in diesem beklemmenden Interview seine harten, bundesweit einmaligen Entscheidungen von damals auch heute noch verteidigt, ist wiederum für sich ein Zeitdokument und befremdliches Zeugnis eines Unbelehrbaren.
Axel Schock
„I Will Survive“ ist auf allen gängigen Podcast-Plattformen abrufbar, die Zusatzfolge mit Peter Gauweiler nur online in der ARD-Mediathek.
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