„Wir müssen für die Gesundheit unserer vielfältigen Communities einstehen“
Matthias Kuske ist seit Oktober 2022 Pädagogischer Mitarbeiter in der Akademie Waldschlösschen. Im Aidshilfe-Kontext ist er kein Unbekannter, da er in etlichen anderen Aidshilfe-Projekten wie z.B. dem Präventionsprojekt „Herzenslust“ in NRW, der DAH-Kampagne „ICH WEISS WAS ICH TU“ oder den „Positiven Stimmen 2.0“ maßgeblich mitgearbeitet hat.
Matthias, Deine neue Aufgabe hat Dich in die Akademie Waldschlösschen gebracht. Ist das nicht ein krasser Wechsel von Berlin in das ländliche Niedersachsen? Was hat Dich zu diesem Schritt bewegt? Was reizt Dich an der neuen Aufgabe?
Ich kenne das Waldschlösschen schon ewig und es war für mich immer schon so etwas wie eine zweite schwule Heimat. Beruflich wollte ich schon länger raus aus der Projektarbeit und hin zur Bildungsarbeit. Als Pädagogischer Mitarbeiter bin ich für die Bereiche HIV, STI, sexuelle Gesundheit und Leben mit HIV zuständig. Für mich passt das daher perfekt. Der Umzug aus der Großstadt zum Zweitwohnsitz aufs Land ist privat natürlich eine deutliche Veränderung. Vor allem, da mein Mann weiterhin in Berlin wohnt. Landschaftlich ist es für mich als Radfahrer toll im Göttinger Raum und Göttingen liegt zentral. Dennoch vermisse ich vieles, was Berlin geboten hat.
Das Waldschlösschen ist eine Institution und ein sehr besonderer Ort. Erzähl uns doch bitte etwas darüber.
Das Waldschlösschen wurde bereits 1981 als bundesweit arbeitendes schwules Tagungshaus gegründet. Das war damals einmalig. Die Gründer waren in der Schwulenbewegung der 1970er Jahre verortet. Neben Seminaren zu verschiedensten schwulen Themen fanden im Waldschlösschen ab Mitte der 80er Jahre auch viele Seminare im Aidshilfekontext und bundesweite Treffen für Menschen mit HIV statt. Im Lauf der Jahre hat sich das Waldschlösschen immer weiter professionalisiert, die Angebote sind umfangreicher und vielfältiger geworden. Aus dem Freien Tagungshaus wurde eine Heimvolkshochschule und ein offenes und vielfältiges Tagungshaus.
Große gesellschaftliche Veränderungen spiegeln sich auch bei Euch im „Mikrokosmos“ Waldschlösschen. Inzwischen versteht sich das Waldschlösschen nicht mehr nur als schwule, sondern als queere Bildungsstätte. Welche Herausforderungen ergeben sich für Euch daraus?
Viele schwule oder schwul-lesbische Netzwerke entwickeln sich zu queeren Netzwerken. Das Schwule Forum Niedersachsen beispielsweise hat sich zu einem queeren Netzwerk Niedersachsen weiterentwickelt. Aus SVeN – dem Präventionsnetzwerk der niedersächsischen Aidshilfen für schwule Männer – ist s*ven geworden. s*ven versteht sich nun als queeres Präventionsnetzwerk mit den Schwerpunkten sexuelle Gesundheit, Vielfalt und Empowerment. Auch wir im Waldschlösschen sind Teil dieser Veränderungen und das drückt sich unter anderem in der Palette von Themen aus, die wir anbieten: Seminare zu „Schwulen Lebenswelten“ sind und bleiben ein wichtiger Teil unserer Arbeit. Das geht von Familienaufstellungen für schwule Männer, über Wander- und Wellness-Angebote bis hin zu Angeboten speziell für ältere schwule Männer.
Gleichzeitig bieten wir z.B. viele Seminare für FLINTA* (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen) und queere Menschen an. Hier geht es viel um Vernetzung und Empowerment. Das spiegelt sich in unserem Programm wider: z.B. mit der FLINTA*-Familienfreizeit, die gerade stattgefunden hat oder einem Seminar „Empowerment und Partizipation für trans* und nicht-binäre Jugendliche“.
Für unser Haus heißt das: Es treffen sich Lebenswelten, die sonst oft nicht viel miteinander zu tun haben. Das führt manchmal durchaus zu Konflikten bis hin zu einem „Clash unterschiedlicher Kulturen“. Es gibt zwischen den Gruppen durchaus Vorbehalte und fehlendes gegenseitiges Verständnis. Und so kann es zu Konflikten kommen, beispielsweise wenn falsche Pronomen verwendet werden oder wenn jemand mis-gegendert wird. Manche Communities erwarten einen komplett safen space für sich. Einen komplett geschützten Raum können wir aber nicht bieten, da wir als Heimvolkshochschule prinzipiell offen für alle sind. Wir versuchen aber „Braver Spaces“ anzubieten. Darunter versteht man Räume, die Dissens und Unstimmigkeiten zulassen, aber möglichst sichere und schützende Bedingungen bieten, um diese Differenzen aufzulösen.
Konkret heißt das, dass wir als Pädagogische Mitarbeiter*innen bei Differenzen sehr präsent und ansprechbar sind und selber so sensibel wie möglich mit Pronomen und geschlechtlicher Zuweisung umgehen. Wir schulen alle Mitarbeiter*innen im Haus in Gender- und Diskriminierungsfragen. Wir fragen nirgendwo das Geschlecht ab und ermöglichen Teilnehmer*innen mit selbstdefinierten Namen und Geschlecht im Haus angesprochen zu werden.
Was siehst Du für das Waldschlösschen aber auch für Aidshilfe als die wichtigsten Herausforderungen der nächsten Jahre?
Einerseits befürchte ich, dass wir im gesamten Gemeinwohlbereich, gerade aber auch in unseren Arbeitsbereichen vor weiteren Kürzungen bei Förderungen stehen, mit denen wir dann kreativ umgehen müssen. Die aktuelle Diskussion um Kürzungen in der politischen Bildung z.B. machen mir angesichts des Erstarkens rechtsradikaler Gruppierungen und Parteien erhebliche Sorgen. Insgesamt sorge ich mich vor gesellschaftlichen Entwicklungen, die immer stärker Tendenzen von Ausgrenzung, Radikalismus und wenig gegenseitigem Verständnis geprägt sind.
Das schwächt Vielfalt, Diversität, Integration und ein gesellschaftliches Klima, das auf gegenseitigem Verständnis und Unterstützung beruht. Wie wir aus Studien wissen, gefährdet dieses die Gesundheit – insbesondere benachteiligter – Menschen. Hier zu unterstützen, zu empowern und für die Rechte und damit die Gesundheit unserer vielfältigen Communities einzustehen, halte ich für eine zentrale Aufgabe in den nächsten Jahren.
Interview: Werner Bock
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