Verhütungsmittel auch mit über 22 Jahren kostenfrei? In Berlin möglich!

© DAH I Eva Stefanovic

Selbstbestimmte Familienplanung ist ein Menschenrecht. Trotzdem ist Verhütung auch heute noch eine Frage des Geldes. Warum das ein erhebliches Problem ist und was in Berlin konkret dagegen getan wird, stellt uns die Studentin der Sozialen Arbeit Eva Stefanovic vor.

In die Sprechstunde im Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung in Berlin Charlottenburg-Wilmersdorf kam vor kurzem eine junge Frau. Nervös legte sie ihren Bescheid des Jobcenters sowie ihr Rezept für die Antibabypille auf den Tisch und erzählte, dass sie zum ersten Mal hier ist. Ihre Freundin hatte ihr erst vor kurzem den Tipp gegeben, die Sprechstunde zu besuchen.

Offen erzählte sie davon, dass Sex und Verhütung schwierig für sie geworden seien. Früher habe sie die Pille nur unregelmäßig genommen – aus Kostengründen. Häufig habe sie eine Tablette ausgelassen, um die Zeit, bis sie wieder ein kostspieliges Rezept brauchte, in die Länge zu ziehen. Das führte zu einer Schwangerschaft und schlussendlich zu einem Schwangerschaftsabbruch. Seitdem könne sie ihr Sexualleben kaum noch genießen, berichtete die junge Frau sichtlich aufgewühlt. Ständig beschäftige sie sich mit dem Gedanken, ob sie die Pille rechtzeitig und täglich eingenommen habe. Viel lieber würde sie mithilfe einer Spirale verhüten, jedoch koste diese bei ihrer Frauenärztin über 300 €. Da sie ALG II Leistungen beziehe, könne sie sich das schlicht und einfach nicht leisten.

Im Rahmen der Beratung wurde ihr die Kostenerstattung des Rezepts gewährt. Dann wurde sie darüber informiert, dass sie als Leistungsbezieher*in die Möglichkeit hat, sich auch von den Gynäkolog*innen hier im Zentrum kostenfrei eine Spirale legen zu lassen. Doch dieses Angebot gibt es nicht für alle Frauen in Deutschland.

Verhütung muss man sich leisten können

Die Bemessungsgrenze für Gesundheitspflege bei Arbeitslosengeld II-Empfänger*innen (umgangssprachlich: Hartz IV) liegt bei ca. 17 € monatlich (Stand 2022). Dieses Budget muss dann zum Beispiel für Erkältungsmedikamente, Kopfschmerztabletten und auch Verhütungsmittel ausreichen. Betrachtet man die Preise von Antibabypillen und anderen Verhütungsmitteln wie Spiralen, scheint das kaum tragbar zu sein. Antibabypillen kosten monatlich zwischen 5 € und 22 €, Verhütungsringe um die 20 €, und das Einsetzen einer Hormonspirale für 5 Jahre einmalig zwischen 250 € bis 400 €, dazu kommen Kosten für jährliche Kontrollen (Quelle: Pro Familia, Stand Juli 2020).

Eva Stefanovic

Es wird deutlich, dass die Kosten für eine bedarfsgerechte Verhütung mit dem Hartz IV-Budget für Gesundheitspflege kaum vereinbar sind. Durch die anhaltend hohe Inflation haben Geringverdiener*innen heute zunehmend weniger Möglichkeiten, an anderen Stellen zu sparen.

Im März 2019 wurde im Rahmen des Gesetzes zur „Verbesserung der Information über einen Schwangerschaftsabbruch“ die Altersgrenze für die Kostenübernahme verschreibungspflichtiger Verhütungsmittel durch die gesetzlichen Krankenkassen vom 20. auf das vollendete 22. Lebensjahr angehoben. Das ist zwar zu begrüßen, wirkt jedoch wie ein „Tropfen auf den heißen Stein“, da Frauen ab dann immer noch auf sich allein gestellt sind. In einigen Kommunen und Bundesländern bestehen hierzu eigene Regelungen – unter anderem in Berlin.

Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung 

In den fünf Berliner Standorten des Zentrums für Sexuelle Gesundheit und Familienplanung besteht die Möglichkeit, eine Kostenübernahme für Verhütungsmittel zu erhalten. Dieses Angebot gilt ab dem 23. Lebensjahr und richtet sich an Personen, die Geringverdiener*innen oder Leistungsbezieher*innen sind und ihren Wohnsitz in Berlin haben.

Die fünf Standorte bieten Sprechstunden zu unterschiedlichen Zeiten an (weiterführende Links in der Infobox). In Charlottenburg-Wilmersdorf am Fehrbelliner Platz sind diese:

  • MO 09.00 – 12.30 Uhr
  • DI 09.00 – 12.30 Uhr
  • DO 15.00 – 18.30 Uhr
  • FR 09.00 – 12.30 Uhr

Da für die Zentren keine bezirklichen Zuständigkeiten gelten, kann man selbst entscheiden, welchen der fünf Standorte man aufsuchen möchte. Bei einer Kostenübernahme für ein ärztlich verschriebenes Verhütungsmittel (wie z.B. Minipille oder Verhütungsring) kommt man einfach ohne Voranmeldung zu einer Sprechstunde und bringt sein Original-Rezept mit. Für Langzeitverhütungsmittel wie Hormonspiralen oder ein Implanon ist eine Terminabsprache notwendig, damit die Einlage auch gynäkologisch und zeitlich koordiniert werden kann.

Um zu nachzuweisen, dass man Anspruch auf eine Kostenübernahme hat, müssen nicht nur das Original-Rezept und der Ausweis vorgelegt werden, sondern auch aktuelle Einkommensnachweise. Für Frauen, die Leistungen vom Jobcenter, Sozialamt oder vom LAF (Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten) beziehen, reicht das Mitbringen des eigenen, aktuellen Bescheids. Wenn der Lebensunterhalt anders bestritten wird, wie z.B. bei Studentinnen oder Frauen mit wenig Erwerbs- oder Familieneinkommen, müssen diese Einnahmen sowie die aktuellen Mietkosten belegt werden. Liegen diese unter den Einkommens- und Vermögensgrenzen des SGB XII, wird das Rezept „freigestempelt“. Im Anschluss kann die Frau in allen Berliner Apotheken ihr Rezept kostenfrei einlösen.

Voraussetzungen

Weitere Informationen und konkrete Vorausetzungen sind auf www.berlin.de unter „Kostenlose Verhüttungsmittel“ nachzulesen.

Da es Ziel ist, die Kostenübernahme so unbürokratisch und niedrigschwellig wie möglich zu gestalten, können die erforderlichen Dokumente auch auf dem Smartphone lediglich vorgezeigt werden. Seit dem Beginn der Corona Pandemie besteht auch die Möglichkeit, die eigenen Unterlagen per Post an das Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung zu versenden.

Mehr als nur ein Stempel

Im Zentrum in Charlottenburg-Wilmersdorf ist diese Sprechstunde in Sozialarbeiterischer Hand. Für manche Frauen ist die Kostenübernahme ein routinierter Gang, bei dem sich die Person ,,einfach nur“ das Rezept abstempeln lässt. Für andere Frauen hingegen eröffnet die Sprechstunde einen Raum, sich umfangreicher über die eigene Verhütung beraten zu lassen. Eins ist klar: Bei diesem Thema spielen nicht nur medizinische Faktoren eine Rolle. Verhütung umfasst auch selbstbestimmte Sexualität, vorhandenen oder nicht vorhandenen Kinderwunsch, Partnerschaft, Lebensplanung sowie weitere soziale und wirtschaftliche Fragen. Viele Frauen beziehen viele ihrer Informationen über Verhütungsmittel aus dem Internet oder „haben mal von einer Freundin gehört, dass …“. Die Sprechstunde bietet ihnen eine persönliche Beratung und dadurch auch eine dankbare Möglichkeit, die eigenen Sorgen loszuwerden, Fragen zu stellen und gegebenenfalls psychosoziale Themen zu besprechen.

Verhütung ist nicht nur was für Frauen

Neben der Kostenübernahme für die oben beschriebenen Verhütungsmittel wie Hormonspirale oder Minipille kann man in den Zentren auch Kondome erhalten. Dafür werden ebenfalls Einkommen und Vermögen unter den gleichen Bedingungen geprüft. Es reichen auch hier aktuelle Bescheide oder Einkommensnachweise bzw. Kontoauszüge auf dem Smartphone. Jede Person kann für drei Monate 60 Kondome mit nach Hause nehmen. Diese werden gleich vor Ort ausgehändigt. Im Vergleich zu den Verhütungsmitteln nur für die Frau schützen Kondome nicht nur vor ungewollten Schwangerschaften, sondern minimieren die Wahrscheinlichkeit der Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten. Ebenso bieten Kondome Männern die Möglichkeit, gleichberechtigt und partnerschaftlich die Familienplanung mitzugestalten. Somit sind alle Geschlechter in der Sprechstunde herzlich Willkommen.

Nichtsdestotrotz fällt Verhütung heutzutage immer noch überwiegend in den Verantwortungsbereich der Frau. Deswegen ist es umso wichtiger, dass insbesondere diejenigen, die wenig Geld zur Verfügung haben, von diesem Angebot in Berlin wissen. Jede Frau sollte, unabhängig von ihren finanziellen Mitteln, frei über Familienplanung und damit auch über ihre Sexualität entscheiden können.

Eva Stefanovic