Sexuelle Bildung als Aufgabe der Aidshilfen

Urs Gamsavar

Vorstellung einer neuen Fortbildungsreihe für die Arbeit mit schwulen und bisexuellen Männern

Die Beschäftigung mit Sexualität stellt von Anfang an eine Kernaufgabe der Aidshilfen dar. Das wird neuerdings auch durch die Tatsache deutlich, dass sich unsere angeschlossenen Institutionen im Namen als Anlaufstellen für „Sexuelle Gesundheit“ nach außen kenntlich machen.

Landläufige Vorstellungen von „Sexueller Gesundheit“ und „Sexueller Bildung“ sind oftmals am „Risikoparadigma“ orientiert: Wie kann dazu beigetragen werden, dass Menschen möglichst wenig Risiken hinsichtlich sexuell übertragbarer Infektionen eingehen? Auch wird angenommen, dass Maßnahmen der „Sexuellen Bildung“ sich vor allem an jüngere Menschen zu richten hätten.

Bei unserer Fortbildungsreihe steht allerdings eine andere Perspektive im Vordergrund: Wie kann es gelingen, mehr sexuelle Zufriedenheit, mehr sexuelles Wohlbefinden zu „erlernen“? Auch für die Welt-Gesundheits-Organisation (WHO) stellt „Sexuelle Gesundheit“ einen wesentlichen Faktor für Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität dar. „Sie […] setzt eine positive und respektvolle Haltung zu Sexualität und sexuellen Beziehungen voraus sowie die Möglichkeit, angenehme und sichere sexuelle Erfahrungen zu machen, und zwar frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt“.

Aus persönlichen Gesprächen, aus Beratungskontexten, aber auch aus empirischen Erhebungen wissen wir, dass es einen großen Bedarf gibt, sich mit sexueller Gesundheit und sexuellem Wohlbefinden auseinanderzusetzen. Fragt man schwule Männer, was denn schwulen Sex ausmacht, dann werden oft lediglich sexuelle Praktiken benannt. Das Sprechen über das sexuelle Begehren, sexuelle Wünsche, Lust und Grenzen fällt oftmals schwer. Das durch schwule Medien verbreitete Leitbild lautet: „Alle sind hemmungslos geil und sehen gut dabei aus“ (Jan Großer). Hier wird deutlich, dass schwule Sexualität auch durch spezifische Normen geleitet wird, die es zu hinterfragen gilt. Auch Scham und Infektionsängste beeinflussen die Sexualität.

Sexuelle Bildung bejaht Sexualität und erkennt ihren eigenen Wert als Lebensgenuss und wesentlichen Faktor von Selbstbewusstsein an.

„Sexuelle Bildung“ will deshalb nicht nur Basiskompetenzen und Grundbildung (z.B. zu Verhütung, biologischen Prozessen und sexuell übertragbaren Krankheiten) vermitteln, sondern sie fördert vor allem auch die Entwicklung von Sexualität an sich. Sexuelle Bildung bejaht Sexualität und erkennt ihren eigenen Wert als Lebensgenuss und wesentlichen Faktor von Selbstbewusstsein an. Es geht ihr um eine langfristige und glückliche Integration von Sexualität in die eigene Persönlichkeit sowie deren Entfaltung und Kultivierung auf all ihren Ebenen und über alle Altersgruppen hinweg.

Wir haben in diesem Sinn eine neue Fortbildungsreihe konzipiert, mit welcher wir nächstes Jahr starten werden. Die Ausschreibung und Anmeldung findet ihr hier.

Simon Herchenbach