„Gleiches Recht für alle! – Oder sind andere gleicher?“

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Die schwierige Situation von geflüchteten Drittstaatlern aus der Ukraine. Ein Gespräch mit Omer Idrissa Ouedraogo, dem Referenten für Migration der Deutschen Aidshilfe.

Seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine sind viele Menschen auf der Flucht. Manche Menschen mussten das Land Hals über Kopf verlassen. Eine fürchterliche Situation für alle Geflüchteten. Besonders schwierig ist die Situation für Black und People of Color (Abkürzung BPoC; Menschen, die nicht weiß sind), die in der Ukraine lebten und nun ebenfalls das Land wegen des Krieges verlassen mussten. Warum das so ist und welche Folgen das hat, darüber sprach Werner Bock mit Omer Idrissa Ouedraogo, dem Referenten für Migration der Deutschen Aidshilfe.

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine gibt es bei aller Tragik auch viel Unterstützung. Viele Länder haben sich bereit erklärt, Geflüchtete aus der Ukraine aufzunehmen, viele Menschen wollen helfen. Allerdings gibt es auch Berichte, die belegen, dass die Unterstützung nicht für alle Schutzsuchenden gleich ist. Kannst Du uns dazu etwas erzählen?

Viele europäische Länder, darunter auch Deutschland, einigten sich, geflüchtete Ukrainer*innen möglichst unbürokratisch aufzunehmen, denn es war klar, dass schnelle Hilfe erforderlich ist. So konnten Ukrainer*innen beispielsweise ohne Visum nach Deutschland einreisen und es gab kostenlose Bahntickets.

Es gibt allerdings auch Berichte und Videos, die belegen, dass schwarze Menschen und People of Color (die in der Ukraine lebten, weil sie dort z.B. studierten oder arbeiteten) schlechter behandelt wurden. Ihnen wurde beispielsweise die Ausreise erschwert oder gar verweigert, obwohl manche sogar einen ukrainischen Pass hatten. Es gibt auch Videos, die zeigen, dass BPoC von weißen Menschen aus den Zügen gedrängt wurden.

Ungleichbehandlung in vielerlei Gestalt

Deutsche Aidshilfe e.V.

Ungleichbehandlung gab es in vielerlei Gestalt! Die Dokumente von BPoC wurden angezweifelt, schwarze Menschen erlebten verstärkte Kontrollen durch die Polizei und die Grenzbeamten. Solche Erfahrungen sind fürchterlich, weil sie re-traumatisierend sind. Bei den Positiven Begegnungen haben mir Studenten aus Nigeria und anderen englischsprechenden Ländern, die in der Ukraine studiert haben, erzählt, dass sie zwei Tage in einem engen Raum festgehalten wurden, mit einer Mahlzeit am Tag und wenig Wasser zum Trinken. Sie waren schockiert, dass sie so diskriminierend und unwürdig behandelt wurden.

Die Ungleichbehandlung von Geflüchteten mit ukrainischem Pass und Geflüchteten mit einer anderen Staatsangehörigkeit setzt sich auch in Deutschland fort. Kannst Du uns dazu etwas sagen?

Menschen mit einem ukrainischen Pass haben von Anfang an einen guten Aufenthaltstitel, nämlich eine Aufenthaltserlaubnis. Das bedeutet: Erwachsene haben das Recht, eine Arbeit auszuüben oder Leistungen vom Job-Center in Anspruch zu nehmen. Kinder können sofort eine Schule besuchen, der Zugang zum Gesundheitssystem steht von Anfang an offen. Es gibt also von Anfang an eine gute Möglichkeit der Integration und es vermittelt die Botschaft: Ihr seid hier willkommen! Rechtlich geregelt ist das in § 24 Aufenthaltsgesetz.

Die rechtliche Situation für Geflüchtete aus der Ukraine, die keinen ukrainischen Pass haben – wir sprechen hier von Drittstaatlern (ausgenommen sind Syrien, Afghanistan und Eritrea, deren Länder von Deutschland als „sichere Länder“ eingestuft werden) – ist wesentlich schwieriger. Sie dürfen zunächst nur bis zum 31.August in Deutschland bleiben. Bei ihnen gilt das Prinzip der Einzelfall-Prüfung.

„Wir gehören nicht dazu.“

In der Praxis heißt das, dass Drittstaatlern auf Ämtern geraten wird, einen Asylantrag zu stellen. Das bedeutet: die Gefahr der Ablehnung und einen unsichereren Aufenthaltsstatus. Zudem gibt es kein Recht auf Arbeit und nur eingeschränkte Leistungen im Gesundheitssystem. Die Botschaft, die bei der Gruppe der Drittstaatler ankommt, ist folgende: Die Anderen sind besser als wir, wir gehören nicht dazu. Diese Ablehnung kann re-traumatisierend sein. Die Hoffnung, in Deutschland geht es besser und gerechter zu, wird enttäuscht. Eine bittere Botschaft bleibt: Wir sind hier nicht willkommen.

Welche Empfehlungen hast Du für Drittstaatler aus der Ukraine, wenn sie nach Deutschland kommen?

Dritt-Staatler sollten sich auf jeden Fall an Migrationsberatungsstellen oder Aidshilfen wenden, bevor sie den Weg zu den Ämtern gehen. Sinnvoll ist auch eine rechtliche Beratung. Dann kann entschieden werden, was die nächsten Schritte sind. Von Asylanträgen wird eher abgeraten, weil es bessere Optionen geben kann.

Dritt-Staatler sollten sich auf jeden Fall an Migrationsberatungsstellen oder Aidshilfen wenden, bevor sie den Weg zu den Ämtern gehen.

Unabhängig von einzelnen Verfahren: Welche politischen Forderungen hast Du, um die Situation für alle Geflüchteten zu verbessern und Perspektiven anzubieten? Was können die DAH und die Aidshilfen dafür tun?

Es muss gleiches Recht für alle Geflüchteten geben, egal woher sie kommen! Alle müssen Zugang zu Bildung und Arbeit haben, alle müssen uneingeschränkten Zugang zum Gesundheitssystem haben. Alle müssen die Möglichkeit zu Integration und Partizipation haben. In Deutschland, aber auch weltweit, ist Gleichheit und Gleichberechtigung aller Menschen ein großes Thema. Wie kann es sein, dass im Jahr 2022 immer noch die Herkunft den Ausschlag gibt, ob der einzelne Mensch genauso gleich ist wie andere?

Besonders die reichen Länder wie Deutschland sollten aufhören, Migrant*innen unterschiedlich zu behandeln: die einen werden favorisiert und die anderen nicht. Dies wird sogar durch die Gesetzgebung festgeschrieben!

Was können regionale Aidshilfen und die DAH tun? Welche Angebote werden gebraucht, welche politischen Forderungen sollten wir verfolgen?

Wenn man von Geflüchteten aus der Ukraine spricht, ist es sinnvoll, die Heterogenität der Zielgruppe nicht aus den Augen zu verlieren. Insbesondere die Drittstaatler*innen (BPoC) sind es, die am nachteiligsten behandelt werden. Sie leben mit der alltäglichen Angst evtl. abgeschoben zu werden und sind perspektivlos. Einige leben ohne gültige Aufenthaltstitel oder ohne Krankenversicherung und sind de facto vom (Gesundheits-)System ausgeschlossen.

Begegnungen auf Augenhöhe

Deshalb sollten die Aidshilfen und die DAH spezielle Angebote für diese vergessene Zielgruppe machen. Es geht darum, einen erleichterten Zugang zur Gesundheitsversorgung (Prävention, Beratung, Therapie, Selbsthilfe usw.) zu schaffen. Die Zusammenarbeit kann über die Kooperationspartner der DAH – wie AGHNiD (Afrikanisches Gesundheits- und HIV-Netzwerk in Deutschland) und AfroLebenPlus – erfolgen, um den Zugang zur Zielgruppe zu ermöglichen. Auch die Unterstützung bzw. Die communitynahen Angebote der Migrantenorganisationen bleiben von großer Bedeutung (z.B. Pamoja e.V. Köln, In VIA Berlin/Projekt Afrika Herz, Haus Afrika Saarbrücken und viele andere Organisationen). Sie sind sichere und unterstützende Anlaufstellen für diese Gruppe.

Die DAH kann natürlich auch durch Lobbyarbeit unterstützen, indem sie z.B. Petitionen schreibt oder durch Antidiskriminierungsarbeit und crossmediale Kampagnen gegen Rassismus zum Empowerment von BPoC und Drittstaatler*innen beiträgt. Die Unterstützung kann finanziell oder ideell sein. Ein Beispiel, wo das gut funktioniert hat: Die DAH hat es afrikanischen Studierenden aus der Ukraine ermöglicht, an den Positiven Begegnungen teilzunehmen. So wird Begegnung auf Augenhöhe geschaffen, ein ernst zu nehmendes und echtes „gleich sein“.

Werner Bock