Keine PrEP – was nun?

Apotheke
Leon Taubert (DAH)

update 25.1.24. Schon seit Wochen gibt es einen Lieferengpass beim HIV-Medikament Tenofovirdisoproxil/Emtricitabin (TDF/FDC). Das betrifft die PrEP, aber auch die HIV-Therapie. Einige Zeit konnten Apotheken noch auf Lagerbestände zurückgreifen oder sich gegenseitig aushelfen. Nun ist das Medikament fast nirgends mehr zu haben. Wir fassen zusammen, was PrEP-User*innen und Menschen mit HIV nun tun können.

In den letzten Jahren häufen sich Medikamenten-Lieferschwierigkeiten, zum Beispiel bei Blutdruckmitteln, Krebsmedikamenten, Asthmasprays oder Antibiotika. Nun betrifft es zum ersten Mal auch ein HIV-Medikament. In einigen Fällen, so berichten Vertreter*innen der Ärzteorganisation dagnä, mussten HIV-Schwerpunktärzt*innen nun schon gut funktionierende Therapien umstellen. Für Patient*innen, die auf Grund ihrer Behandlungsgeschichte nicht viele Therapieoptionen haben, kann dies eine bedeutsame Folge für die zukünftige Behandlung haben.

Die Nichtverfügbarkeit von TDF/FDC betrifft auch die PrEP. Hier sind keine Alternativen in Deutschland zugelassen, sodass für viele Nutzer*innen nun überhaupt keine Medikamente mehr zur Verfügung stehen.

Hintergründe für den akuten Mangel sind vielschichtig

Die Gründe für den Engpass sind offenbar vielschichtig. So sind zwei Unternehmen aus dem Markt ausgestiegen, hinzu kommen Produktionsprobleme anderer Hersteller. Preisunterschiede auf dem europäischen Arzneimittelmarkt könnten ebenfalls eine Rolle spielen: Hersteller scheinen in Nachbarländern zum Teil mehr Geld für ihre generischen Medikamente zu bekommen als in Deutschland.

Einige Hersteller haben zugesagt, in den nächsten Tagen und Wochen wieder einige Chargen von TDF/FDC auszuliefern, aber bis Anfang März wird es ingesamt knapp bleiben.

Runder Tisch zu Maßnahmen gegen den Engpass

Die Deutsche Aidshilfe (DAH), die ambulant tätigen HIV-Mediziner*innen (dagnä), die Deutsche AIDS-Gesellschaft (DAIG) und die Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) haben sich mit Vertreter*innen des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bei einem digitalen Runden Tisch zum Engpass bei Emtricitabin und Tenofovirdisoproxil beraten. Das BfArM ist zusammen mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) für Maßnahmen gegen Lieferengpässe zuständig.

Bundesinstitut kontaktiert Hersteller

Das BfArM hat zugesichert, Hersteller nach wirkstoffidentischen Medikamenten mit europäischer Zulassung im Portfolio anzufragen. Das Institut könnte deren Import nach Deutschland gem. § 10 und 11 des Arzneimittelgesetzes (AMG) gestatten und die Medikamente so verfügbar machen. In vielen Ländern Europas ist TDF/FDC verfügbar. Diese Lösung ließe sich verhältnismäßig schnell umsetzen.

Die Teilnehmenden des Runden Tischs haben das BfArM darüber hinaus gebeten, beim Gesundheitsministerium auf die Feststellung eines Versorgungsmangels nach § 79 Abs 5 AMG hinzuwirken. Dies sei ein politisches Signal, um langfristig an der Versorgungssicherheit zu arbeiten, selbst wenn dieser Schritt nicht unmittelbar zu einer Verbesserung der Versorgungslage bis Anfang März beitragen sollte.

Update 24.1.24: 2.500 Packungen Truvada jetzt auf dem Markt

Laut Erik Tenberken von der Arbeitsgemeinschaft HIV- und Hepatitis-kompetenter Apotheken (dahka.de) stehen von Gilead jetzt 2.500 Dreimonatspackungen Truvada zusätzlich zur Verfügung, was den Mangel etwas abmildert. Das zusätzliche Truvada ist offenbar nicht im normalen Bestellsystem verfügbar, sondern über die Dispo-Abteilungen der Großhändler. Sollten die Apotheken dort Schwierigkeiten haben, können sie sich auch an den Viroflex-Großhandel (viroflex.de) von Tenberken wenden.

Wenn Klient*innen fragen, wie man jetzt noch an FTC+TDF für die Behandlung oder PrEP kommt, bleibt die Empfehlung weiterhin, sich an ein DAHKA-Mitglied zu wenden (Liste: https://www.dahka.de/ueber-die-dah2ka/mitglieder) und ggf. die Apotheke auf die obige Info (sowie auf die Möglichkeit des Einzelimports nach §73 Abs. 3 AMG) hinzuweisen. Das gilt auch für das Gespräch mit Ärzt*innen, insbesondere dann, wenn im Gespräch steht, eine Therapie umstellen zu müssen.

Update 25.1.24: Gesundheitsminster will Importe ermöglichen

Auf X, dem Nachfolger von Twitter, schreibt Gesundheitsminister Lauterbach nun: „Wir werden Importe erlauben und Krankenkassen auffordern, Mehrkosten zu übernehmen. Hersteller werden Produktion hochschrauben. In wenigen Wochen wird sich Lage bessern. Bis dahin bitte vorsichtig sein“.

Was PrEPNutzer*innen tun können

Austauschregel nutzen

Eine Möglichkeit ist, unterschiedliche Apotheken anzufragen. Manche Apotheken haben ggf. noch Restbestände. Empfehlenswert ist, sich ggf. an ein Mitglied der Arbeitsgemeinschaft HIV-kompetenter Apotheken (DAHKA) zu wenden. Diese Apotheken tauschen sich untereinander aus und unterstützen sich gegenseitig bei der Versorgung mit der PrEP, sofern es Bestände gibt. Auch Anfragen bei Online-Apotheken können eine Möglichkeit sein. In jedem Fall sollte in der Arztpraxis um ein E-Rezept gebeten werden, weil damit eine Online-Bestellung deutlich einfacher ist.

Es ist davon auszugehen, dass in den nächsten Tagen einzelne Chargen auf dem Markt kommen. Deshalb kann es sinnvoll sein, häufiger nachzufragen oder mit der (Haus)apotheke zu vereinbaren, dass man infomiert wird, wenn wieder etwas vorrätig ist.

Wichtig zu wissen: Sollte das verschriebene Medikament nicht verfügbar sein, ist es grundlegend möglich, dass Apotheker*innen das nächstgünstige Medikament mit gleicher Wirkstoffkombination abgeben. Dies ermöglicht eine Gesetzesänderung des letzten Jahres (§ 129 Abs. 2a SGB V für gesetzlich Versicherte, in § 17 Abs. 5b ApBetrO für privat Versicherte). Wenn kein günstiges Generikum verfügbar ist, können Apotheken auch das Original-Medikament Truvada® abgeben. Allerdings ist auch Truvada® derzeit kaum mehr erhältlich.

Das Medikament einzeln aus dem Ausland importieren

Apotheken können im Rahmen eines sogenannten „Einzelimports“ (§ 73 Absatz 3 des Arzneimittelgesetzes) TDF/FTC für Versicherte aus dem Ausland besorgen. Da es aber noch keine generellen Aussagen der Krankenkassen zu einer Finanzierung dieses Vorgehens gibt, muss jede*r Versicherte einen Einzelantrag stellen. Das läuft dann über die Apotheke, die der Krankenkasse – in der Regel per Fax – einen Kostenvoranschlag zusendet. Nach ein paar Tagen erhält die Apotheke eine Rückmeldung von der Krankenkasse und kann dann – bei positivem Bescheid – die Bestellung aufgeben. Die Lieferung kann etwa drei Wochen dauern.

Die Deutsche Aidshilfe empfiehlt Patient*innen und PrEP-User*innen, ihre Ärzt*innen und Apotheker*innen auf die Möglichkeit von Einzelimporten aufmerksam machen, auch wenn es keine Erfolgsgarantie gibt.

Eine andere Möglichkeit ist, zum Beispiel wenn man ohnehin eine Reise in ein anderes EU-Land vorhat oder in einer grenznahen Region wohnt, das Rezept im EU-Ausland einzulösen. Grundsätzlich ist ein in einem EU-Land ausgestelltes Rezept auch in allen anderen EU-Ländern gültig. Allerdings ist es in diesem Fall meist so, dass das Medikament zunächst bezahlt werden muss und die Kosten dann nachträglich bei der Krankenkasse zurückgefordert werden können. Ein besonderes Rezept braucht es für diese Vorgehensweise nicht. Wer sichergehen will, fragt vorher bei seiner Krankenkasse an. (Infos dazu auf der Webseite der EU)

Anlassbezogene PrEP / PrEP on Demand

Für einige Anwender*innen der täglichen Dauer-PrEP könnte es zudem eine Option sein, zumindest vorübergehend auf die sogenannte anlassbezogene PrEP umzusteigen, bei der man lediglich vor und nach (geplantem) Sex Tabletten nimmt.

Für Menschen, die bisher regelmäßig die PrEP genommen haben, ist eine Umstellung ggf. aber gar nicht so einfach. Das Einnahmeschema sollte deshalb mit Ratsuchenden an Hand konkreter Beispielsituationen in Ruhe besprochen werden. Mehr Informationen dazu unter aidshilfe.de sowie bei Hein und Fiete.

Andere Safer-Sex-Optionen prüfen

Wenn alles nichts hilft, kann mit Ratsuchenden überlegt werden, ob andere Safer-Sex-Optionen, wie das Kondom oder Schutz durch Therapie, in Frage kommen, bis die PrEP wieder verfügbar ist. In der Beratung sollte dabei gecheckt werden, ob ausreichend Wissen zu Kondomgebrauch vorhanden und ob dies eine realistische Option ist.

Für Menschen mit HIV: früzeitig in Arztpraxis melden

Falls die Wirkstoffkombination Emtricitabin plus Tenofovirdisoproxil in der HIV-Behandlung zum Einsatz kommt, sollten sich Menschen mit HIV möglichst schnell – noch bevor die Tabletten zur Neige gehen – an den*die behandelnde*n Ärzt*in wenden. Somit können Medikamente rechtzeitig bestellt oder Alternativen überlegt werden.

HIV-PrEP-Engpass: Versorgungssicherheit gewährleisten!

Um langfristig die Versorgung mit dem einzigen in Deutschland zur HIV-Prophylaxe PrEP zugelassenen Medikament zu sichern, das außerdem auch in der HIV-Therapie eine wichtige Rolle spielt, muss nach Auffassung des Runden Tischs das Gesundheitsministerium tätig werden.

Das BfArM will – auf Vorschlag der Deutschen Aidshilfe – dem Beirat für Lieferengpässe für seine Sitzung Ende Januar empfehlen, TDF+FTC wieder auf die Liste der versorgungskritischen Wirkstoffe aufzunehmen. Dies hätte zwar kurzfristig keine Auswirkungen auf die Verfügbarkeit des Medikaments, könnte aber – sollte der Lieferengpass auch dadurch verursacht sein, dass in Deutschland europaweit die niedrigsten Preise für die Generika bezahlt werden – eine Grundlage sein, um über eine Anhebung der Festbeträge zu diskutieren.

Weitere Informationen zum Engpass