Fentanyl im Straßenheroin?

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Seit dem 1. März können Opiatgebraucher*innen in 17 Konsumräumen (in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, Münster und Wuppertal) ihr Heroin auf Beimengung des gefährlichen Opioids Fentanyl testen lassen.

Was ist Fentanyl?

Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, das in zwei Formen und Kontexten vorkommt:

  1. Als Medikament zur Schmerzbehandlung nach Operationen oder z.B. bei onkologischen Erkrankungen u.a. in folgenden Darreichungsformen: Pflaster, Tablette, Lolli
  2. Als illegal hergestelltes Opioid, das bewusst konsumiert wird oder Heroin beigemischt wird u.a. in folgenden Darreichungsformen: Pulver, Flüssigkeit, Pille

In der Zusammensetzung ist Fentanyl in beiden Fällen um ein vielfaches stärker als Heroin. Dadurch steigt das Risiko für opioidbedingte Not- und Todesfälle beim Konsum drastisch.

Als Beimengung im Heroin ist Fentanyl besonders gefährlich, da es nicht erkennbar (weder mit dem Auge noch am Geruch oder Geschmack) ist. Aber schon eine salzkorngroße Menge kann tödlich sein.

Warum wird in Deutschland Heroin auf Fentanyl getestet?

In anderen außereuropäischen Ländern und mittlerweile vereinzelt auch Europa spielt Fentanyl seit mehreren Jahrzehnten eine Rolle. In Ländern, die einen hohen Fentanylkonsum aufweisen, sind die Anteile an den drogenbedingten Todesfällen entsprechend extrem hoch: In Estland waren 2018 59 %, 2017 sogar 81 % der drogenbedingten Todesfälle auf den Konsum von illegal produziertem Fentanyl zurückzuführen. In Kanada sind von den 7.560 opioidbedingten Todesfällen im Jahr 2021 81 % auf den Konsum von illegal produziertem Fentanyl zurückzuführen.

Im Jahr 2020 verzeichneten die Vereinigten Staaten 91.799 drogenbedingte Todesfälle. Bei 75 % waren vorrangig synthetische Opioide verantwortlich. Die Daten zur Verbreitung von Fentanyl in Deutschland und in Europa sind lückenhaft. Opiate und Opioide sind jedoch unbestritten die häufigste Substanz im Zusammenhang mit Drogentodesfällen; europaweit sind sie bei über 75% der drogenbedingten Todesfälle beteiligt und Schätzungen belaufen sich auf Mortalitätsraten von 1 – 2 % unter intravenös Konsumierenden (d.h., 1-2% der intravenös Drogen gebrauchenden Menschen in Deutschland sterben jährlich an Opiaten oder Opioiden).

In Deutschland war 2021 zum fünften Mal in Folge ein erneuter Anstieg von drogenbedingten Todesfällen auf insgesamt 1.826 Fälle zu verzeichnen. Dies ist der höchste Wert seit 20 Jahren. Von diesen Fällen wurde in 102 Fällen eine Fentanylbeteiligung registriert. Aufgrund der geringen Rate an toxikologischen Gutachten kann jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass Beimischungen von Fentanyl (im wesentlich häufiger registrierten Heroin) in der Drogentodesfallstatistik entsprechend registriert würden.

In Deutschland ist bisher nicht erkennbar, dass Fentanyl wie in Kanada oder Estland Heroin vom Markt und als vorzugsweise konsumierte Substanz ablöst. Trotzdem besteht die Gefahr, dass bedingt durch den geringen Preis und die höhere Wirksamkeit von zumeist illegal produziertem Fentanyl auch hier die Verbreitung zunehmen kann. Da den Konsumierenden nicht bewusst ist, dass sie mit Fentanyl vermischtes Heroin konsumieren, können sie keine entsprechenden Safer-Use-Strategien – allen voran eine Dosisreduzierung – anwenden.

Was passiert im Bundesmodellprojekt RaFT?

Das Bundesmodellprojekt RaFT (Rapid Fentanyl Tests in Drogenkonsumräumen) wird vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) gefördert. Hier wird Opiatgebraucher*innen unabhängig von der Konsumform (intravenös, inhalativ, nasal) angeboten, das mitgebrachte Heroin auf die Beimengung von Heroin checken zu lassen.

Das Testangebot ist kostenlos, es muss nichts vom Heroin abgegeben werden und das Ergebnis wird nach wenigen Sekunden mitgeteilt.

Der Test wird von einem*einer Mitarbeiter*in im Konsumraum nach der Aufbereitung vom Heroin durchgeführt. Hierbei werden die Rückstände an der Verpackung (Folie oder Papier) mit einem Wattestäbchen abgestrichen und in etwas Wasser aufgelöst. Es handelt sich um einen Schnelltest, der sehr einfach durchgeführt und abgelesen werden kann. Er wird für 15 Sekunden mit der Spitze in die in Wasser aufgelösten Heroin-Rückstände gehalten. Nach weiteren max. 30 Sekunden kann das das Ergebnis folgendermaßen abgelesen werden:

Fetanyl-Testergebnis
Fetanyl-Testergebnis

Wenn das Testergebnis negativ ausfällt, kann der Konsumvorgang wie geplant stattfinden und der Testteil ist abgeschlossen. Wenn das Testergebnis positiv ausfällt, also Fentanyl im Heroin nachgewiesen werden konnte, schließt sich eine kurze fentanylbezogene Beratung an, in der verschiedene Maßnahmen der Schadensminimierung vorgeschlagen werden. Im Vordergrund steht hierbei das „Dosis-Splitting“.

Das Heroin soll dabei in mehrere gleich große Konsumeinheiten eingeteilt werden. Die erste Dosis soll in jedem Fall im Konsumraum konsumiert und die Wirkung abgewartet werden. Danach kann je nach Entscheidung des*der Klient*in und Kapazität des Raums die nächste Dosis konsumiert oder der Rest mitgenommen werden. Wenn mit Fentanyl versetztes Heroin mitgenommen wird, soll in jedem Fall eine Naloxon-Take-Home-Vergabe erfolgen. Außerdem sind die folgenden klassischen harm-reduction-Maßnahmen besonders wichtig:

  • Nicht alleine konsumieren!
  • Kein Mischkonsum!

Die mitgebrachte Substanz kann stattdessen auch im Drogenkonsumraum entsorgt werden. Ähnliche Projekte in anderen Ländern haben gezeigt, dass auch diese Möglichkeit durchaus in Anspruch genommen wird, wenn das Vorhandensein von Fentanyl bekannt ist.

Die Testung versetzt die Mitarbeiter*innen in die Lage, eine faktenbasierte Beratung anzubieten. Opiatgebraucher*innen können auf Grundlage der Beratung eine informierte Konsumentscheidung treffen.

Das Modellprojekt nochmal in Kürze:

Was? Straßenheroin kann auf die Beimengung von Fentanyl getestet werden.

Wo? In 17 Drogenkonsumräumen in Berlin, Hamburg, Frankfurt a.M., Düsseldorf, Wuppertal und Münster

Warum?
1. Kenntnisse über das Vorkommen von Fentanyl im Heroin in Deutschland gewinnen.
2. Opiatgebraucher*innen und das niedrigschwellige Hilfesystem auf Fentanyl vorbereiten.

Warum noch? Es können aus der Dokumentation auch Kenntnisse über Szenestrukturen (z.B. ob der*die Verkäufer*in bekannt ist) und Inanspruchnahme in bestimmten Gruppen (z.B. Alter, Gender oder Konsumhäufigkeit) gewonnen werden. Im Rahmen des Modellprojekts wird das Testverfahren erprobt und nachjustiert, sodass im Anschluss die Tests auch großflächig eingesetzt werden können.

Auftaktreffen Fetanyl
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Projektteam (Deutsche Aidshilfe e.V. und Mitarbeiter*innen der teilnehmenden Konsumräume) beim Auftakttreffen am 03.02.2023 in Berlin

Was wurde schon herausgefunden und wie geht es weiter?

Die Phase, in der in den teilnehmenden Einrichtungen getestet wird, läuft seit Anfang März und noch bis Ende August. Es wurden bereits mehr als 2.500 Heroinproben getestet und es können noch viele folgen. Das Interesse und die Inanspruchnahme sowohl bei den Kolleg*innen vor Ort als auch bei ihren Klient*innen ist anhaltend hoch. Auch die aktive Nachfrage nach Drug-Checking Angeboten über die Analyse auf eine Substanz hinaus ist dadurch gestiegen.

Das RaFT-Projekt kommt auch also nicht nur wegen der möglichen Verfügbarkeit von Fentanyl auf dem deutschen Schwarzmarkt zur rechten Zeit, sondern auch um die Aufmerksamkeit bei der Diskussion um Drug Checking auch auf Drogenkonsumräume zu lenken.

Durch die Veränderung des entsprechenden Gesetzes (BtMG §10a) ist es möglich, Drug Checking in Drogenkonsumräumen anzubinden. Die Bundesländer müssen dazu eine entsprechende Rechtsverordnung formulieren.

Aus den bisherigen Proben sind vereinzelt und mit regionalen Schwerpunkten positive Ergebnisse vorgegangen, die darauf hinweisen, dass in Deutschland Fentanyl als Beimengung im Straßenheroin bereits verwendet wird. Mit Projekten, die Aufschluss darüber geben, können Überdosierungen und somit Drogennot- und Todesfälle verhindert werden. Außerdem kann für Beimengungen und deren Wirkung sensibilisiert werden. Im Projekt RaFT sind wir damit schon erfolgreich.

Autorin: Maria Kuban