Queere Pflege? Das Pflege-Portal für die LSBTIQ-Community und darüber hinaus

Schlagwörter Pflege Community Service
Andreas Schütz

Wir baten Andraeas Schütz von Queer-Pflege.de um eine Projektvorstellung.

Diversitätssensible Pflege ist in einer vielfältigen Gesellschaft unverzichtbar. Dennoch stoßen lesbische, schwule, bisexuelle, trans* und intersexuelle Menschen (LSBTI*) in der Pflegelandschaft nach wie vor auf spezifische Barrieren. Schätzungen zufolge gehören rund 1,8 Millionen Menschen über 60 Jahre der LSBTI*-Gemeinschaft an. Dennoch fühlen sich viele LSBTI* Senior*innen mit ihren Bedürfnissen in der Pflege unsichtbar. Dies möchte das neu gegründete Portal Queer-Pflege.de ändern.

Das kostenfreie Portal Queer-Pflege.de dient als zentrale Anlaufstelle für die LSBTI*-Community, die nach diversitätssensiblen Pflege- und Betreuungsdiensten sucht. Es bietet eine umfassende Hilfestellung bei der Suche nach Pflegediensten, Beratungsstellen und spezialisierten Pflegeangeboten, die speziell auf die Bedürfnisse von queeren Lebenswelten ausgerichtet sind. Die Plattform unterstützt auch Wahlfamilien und Angehörige bei der Suche nach bedarfsgerechter Pflege und setzt sich aktiv für den Abbau von Diskriminierung ein. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von Andreas, einem Pflegeberater aus Berlin. In seiner Arbeit erlebte er immer wieder, dass queere Menschen in der Pflege benachteiligt und diskriminiert werden. Oft verbergen LSBTI* Senior*innen ihre sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität aus Angst vor Ablehnung.

Nicht nur die körperliche Pflege ist wichtig, sondern auch das Gefühl, akzeptiert und verstanden zu werden

Andreas Schütz

Die Mission von Queer-Pflege.de

Andreas Schütz

Das LSBTIQ*-Pflegeportal versteht sich als umfassende und kostenlose Plattform, die es Mitgliedern der queeren Community ermöglicht, kostenlos passende Pflege- und Betreuungsangebote zu finden. Dies umfasst ein breites Spektrum an Dienstleistungen, von Besuchs- und Pflegediensten bis hin zu Beratungsstellen, und legt einen besonderen Schwerpunkt auf die Vernetzung von Pflegebedürftigen, Pflegenden und Angehörigen innerhalb der LSBTIQ*-Community. Durch das Aufzeigen von queersensiblen Hilfen sollen Pflegebedürftige, pflegende Angehörige und Wahlfamilien entlastet und die Lebensqualität der LSBTIQ*-Personen verbessert werden. Darüber hinaus besteht auch die Möglichkeit, ein Hilfegesuch innerhalb der queeren Gemeinschaft und für die queere Gemeinschaft einzustellen.

Warum Queer-Pflege.de?

Die Notwendigkeit eines solchen Portals ergibt sich aus den spezifischen Herausforderungen, mit denen LSBTIQ*-Personen in der Pflege konfrontiert sind. Viele befürchten, von klassischen Pflegediensten und Pflegeeinrichtungen nicht adäquat versorgt oder akzeptiert zu werden. Oft sind negative Erfahrungen in der Vergangenheit die Grundlage für das Misstrauen. Dabei ist zu bedenken, dass viele queere Menschen Strafverfolgung erleben mussten, ein Leben in Angst geführt haben oder die medizinische Versorgung nicht auf alle Körperlichkeiten ausgelegt war. 

Diese Erfahrungen zeigen die besondere Notwendigkeit einer lebensweltgerechten und diversitätssensiblen Pflege auf. Queer-Pflege.de hat sich zum Ziel gesetzt, die Gleichberechtigung und Akzeptanz der LSBTIQ*-Community in der gesamten Pflegelandschaft zu fördern und ein Netzwerk von Dienstleistern, Beratungsstellen und Pflegebedürftigen zu schaffen, das auf Empathie, Respekt und Unterstützung basiert. Es möchte dazu beitragen, heteronormative Strukturen in der Altenhilfe und Pflege aufzubrechen und sexuelle und geschlechtliche Vielfalt weiterhin zu ermöglichen, ohne sich aufgrund einer Pflegesituation verstecken oder Angst vor Intoleranz haben zu müssen.

Verbreitung  queerer Pflege in Deutschland

Mit geschätzten 310.000 Pflegebedürftigen, 386.000 pflegenden Angehörigen und 125.000 Pflegekräften innerhalb der LSBTIQ*-Community wird die Dimension des Bedarfs sichtbar. Trotz dieser signifikanten Zahlen ist die sexuelle oder geschlechtliche Identität der Pflegebedürftigen in vielen Fällen nicht bekannt. Nur 14,1% der Pflegebedürftigen geben an, dass ihre Pflegeperson über ihre sexuelle Orientierung informiert ist, während eine überwältigende Mehrheit von 85,9% angibt, aus Angst oder Scham ihre Pflegekraft nicht informiert zu haben. Die Gesamtzahl der Pflegeeinrichtungen in Deutschland umfasst 14.500 Pflegeheime, 14.100 Pflegedienste und 42.500 Alltagshilfen. Trotz dieser großen Versorgungsinfrastruktur fehlt es an spezifischen und verbindlichen Qualitätsstandards, die die besonderen Bedürfnisse von LSBTIQ* berücksichtigen. Viele queere Menschen fühlen sich gezwungen, ihre Identität zu verbergen, um Diskriminierung und Ausgrenzung zu vermeiden. Erste positive Entwicklungen gibt es in diesem Bereich mit dem Qualitätssiegel „Lebensort Vielfalt“ und dem AWO-Modellprojekt „Queer im Alter“. Diese Leuchtturmprojekte werden auf Queer-Pflege.de sichtbar gemacht, um auch diese Initiativen zu stärken und zu unterstützen.

Was bedeutet es, eine Queer-freundliche Pflegeeinrichtung zu sein?

Um Vielfalt in Pflegeeinrichtungen zu einer gelebten Realität zu machen, ist es unerlässlich, sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in Schrift, Wort und Bild selbstverständlich darzustellen. Dabei geht es nicht um einen Sonderstatus für LSBTI*, sondern um ihre vollständige Inklusion. Eine inklusive Außendarstellung, die LSBTI* berücksichtigt, signalisiert, dass sich diese Gruppen akzeptiert fühlen und sich der Pflegedienst oder das Pflegeheim mit ihren spezifischen Bedürfnissen auseinandergesetzt hat.

Praktische Umsetzung

  • Gendersensible Sprache: Die Verwendung einer gendersensiblen Sprache in Dokumenten, in der mündlichen Kommunikation und in der Außendarstellung ist entscheidend. Dies beinhaltet die Verwendung geschlechtsneutraler Formulierungen und die Berücksichtigung der Geschlechtervielfalt in personenbezogenen Dokumenten, wie z.B. Stammdatenblättern.
  • Fragen können sein: * „Sind Sie zurzeit in einer Partnerschaft? Sind Sie derzeit in einer Partnerschaft“ anstelle von „Frau XY, wann kommt Ihr Ehemann?“ Darüber hinaus lädt eine Ansprache ohne heterosexuelle Vorannahmen zur Offenheit ein – es sollte also nicht davon ausgegangen werden, dass der Mann, der immer zu Besuch kommt, nur der Bruder sein kann und Formulierungen wie „Herr XY, kann Ihr Bruder, der Sie immer besucht, etwas von zu Hause mitbringen?„ sollten vermieden werden.
  • Bildsprache: Die bildliche Darstellung von LSBTI*-Personen in der Öffentlichkeitsarbeit ist von großer Bedeutung. Dies kann durch die Verwendung von Symbolen wie der Regenbogenfahne oder durch Abbildungen von LSBTI*-Lebenswelten geschehen.
  • Ansprache und Geschlechtsidentität: Bei der Aufnahme neuer Klient*innen und in der alltäglichen Kommunikation ist es wichtig, nach der gewünschten Ansprache und dem gewünschten Pronomen zu fragen. Dies schafft Vertrauen und signalisiert Respekt vor der geschlechtlichen Selbstbestimmung.
  • Wahlfamilie und Beziehungsnetzwerke: Die Anerkennung von Wahlfamilien und nichttraditionellen Beziehungsnetzwerken ist ebenfalls ein wesentlicher Aspekt von Inklusion. LSBTI* haben oft ein anderes Verständnis von Familie und Unterstützungsnetzwerken, das in der Pflege berücksichtigt werden muss, um eine ganzheitliche und bedarfsgerechte Pflege zu gewährleisten.

Zusammenfassend lässt sich festhalten:

Queer-Pflege.de begreift sich als ein Portal, das die Sichtbarkeit und Akzeptanz von LSBTIQ*-Personen in der Pflegelandschaft fördern möchte. Durch die Vernetzung von Ressourcen, die Sensibilisierung für queere Belange und die praktische Umsetzung von Inklusion trägt das Portal zu einem selbstbestimmten und würdevollen Leben aller Menschen in der Pflege bei. Queer-Pflege.de wendet sich an alle, die sich für die Schaffung einer inklusiven und gerechten Pflegelandschaft einsetzen möchten, um das Projekt zu fördern.

Jeder Beitrag leistet einen entscheidenden Anteil daran, eine Pflegeatmosphäre zu gestalten, in der sich jede Person wertgeschätzt und verstanden fühlt.

Andreas Schütz