Eindrücke vom Fachtag „Diversity: Vielfalt leben und fördern“

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Unter dem Titel „Diversity: Vielfalt leben und fördern“ versammelten sich vom 4.-5. November 2022 insgesamt 67 Teilnehmende zum Fachtag der Deutschen Aidshilfe (DAH) in Schwäbisch Gmünd (Baden-Württemberg). Angelehnt an das 2020 verabschiedete Zukunftspapier „Aufs Ganze sehen – Gesundheit möglich machen“, in dem unter anderem das Ziel einer rassismus- und diskriminierungsfreien Sprache formuliert wurde, sollte der Fachtag Möglichkeit bieten, den eigenen Prozess in der Umsetzung dieser Ziele selbstkritisch zu diskutieren. 

Gleich zu Beginn der Veranstaltung führten die Moderatorin Daria Kinga Majewski, das Vorstandsmitglied der DAH, Björn Beck, und der Fachreferent für Migration, Omer Idrissa Ouedraogo, in das komplexe Themenspektrum ein. Trotz unterschiedlicher Zugänge waren sich die drei einig: Diversitätsarbeit stelle durch die vielfältigen Eigenschaften der teils auch intersektional von Diskriminierung betroffenen Zielgruppen eine große Herausforderung dar. Dennoch solle dies nicht als unüberwindbare Hürde verstanden werden, sondern vielmehr als Aufgabe voller Potenzial. In der Entwicklung einer gemeinsamen Diversity-Strategie sei insbesondere das Prinzip der Partizipation als fundamentales Kernelement zu verstehen.

Ein WorldCafé zur thematischen Annäherung

Der partizipative Einstieg ins Thema gelang durch ein World-Café. Hier  konnten die Teilnehmenden am ersten Tag vier moderierte Diskussionsforen durchlaufen. Dazu wurden sie in vier Gruppen aufgeteilt. In diesen Gruppen rotierten die Teilnehmenden von einem angeleiteten Diskussionsforum mit spezifischer Fragestellung ins nächste. Schlussendlich diskutierte jede Gruppe alle Themen.

  • Das von Mirja Leibnitz (DAH) angeleitete Forum behandelte das Thema: „Wer spricht hier für wen?“ Hier wurde die Frage gestellt, inwiefern es zu legitimieren sei, dass Workshops und Seminare auch von Trainer*innen gehalten werden, die nicht selbst aus der jeweiligen Community kommen. Der gemeinsame Goldstandard wurde von allen soweit geteilt: Trainer*innen sollten tatsächlich Mitglieder der jeweiligen Zielgruppe sein und die nötige Expertise mitbringen. Eine Ausnahme könnten Formate darstellen, die der alleinigen Wissensvermittlung dienen. Inhalte, die auf persönlichen Erfahrungen basieren, würden dadurch jedoch in ihrer Wirkung limitiert. Der Goldstandard sei etabliert, dennoch aber nicht immer machbar. Wie solle damit umgegangen werden? Wie könne ein größerer Pool an Trainer*innen geschaffen werden? Diese Fragen müssen weiter erörtert werden.
  • Omer Idrissa Ouedraogo und Christina Laußmann (beide DAH) sammelten im zweiten Forum des World-Cafés Ideen für verbandsweite Aktionen im Rahmen der Woche gegen Rassismus. Vielfältige Vorschläge kamen zusammen, darunter Flashmobs, gemeinsame Workshops oder Handarbeitskurse, die Raum für Begegnung schaffen sollen. Elementar sei die Tatsache, dass Rassismus nicht in der alleinigen Verantwortung der Communities bleiben könne, sondern die breite Bevölkerung darauf aufmerksam gemacht werden müsse – jetzt gelte es nur noch, dies auch umzusetzen. Wichtig sei eine gute Vernetzung vor Ort und in Kooperation mit der DAH als Dachverband, denn auf dem Grundbaustein der Partizipation liege das große Potenzial, wenn es in Richtung Powersharing vorangehen solle.
  • Im dritten Forum wurden Fragen zur diversitätssensiblen Organisationsentwicklung diskutiert. Durch die Runden führten Silke Klumb (Geschäftsführung DAH) und Frank Kreutzer (Geschäftsführung Aidshilfe Saar). Als fundamental wurde die Qualität der Debattenkultur benannt: eine offene, kritikfähige Haltung sei unabdingbar. Zu klären seien Fragen wie: Wie können wir akzeptieren, dass durch Debatten Verletzung entstehen? Wie können wir wiederum Menschen schützen, die wiederholt Verletzung erfahren? Ein wichtiger Kern der Institutionen sei Partizipation. Diese müsse jedoch auch real umgesetzt werden, z.B. könne Selbstbestimmung in einer Organisation so gelebt werden, dass die Community direkt über Gelder zur Gestaltung von Workshops verfügen könne (Stichwort: Ressourcenverteilung).  Veränderung solle nicht als nicht zu bewältigende Herausforderung verstanden werden, sondern als Chance. 
  • Im vierten Forum wurde gemeinsam mit Dr. Daniel Masch (checkpoint queer, Lüneburg) die sexuelle Gesundheit in trans und abinären Communities diskutiert; eine gemeinsame Studie der DAH und dem Robert Koch Institut liefert hierfür endlich aktuelle, empirische Daten und zeigt konkrete Bedarfe der Community auf. Im Workshop wurden Empfehlungen für die Aidshilfen und den Dachverband aus diesen Daten abgeleitet. Darunter wird unter anderem die Erstellung eines Aufklärungshefts auch für trans-Frauen und abinäre Menschen genannt. Bemängelt wurden Wissenslücken, die aufgrund fehlender Gelder zur Finanzierung weiterführender Studien nur langsam geschlossen werden können. Als elementare Grundbausteine der Arbeit wurden auch hier Partizipation der Community genannt und Sensibilität, die durch Zusammenarbeit mit der Peergroup erarbeitet wird. 

Am Ende des ersten Tages wurde ein erfolgreiches Zwischenrésumé gezogen: Gemeinsam seien vielfältige Handlungsfelder sowohl innerhalb der DAH als auch gemeingesellschaftlich identifiziert worden. Und mit ihnen auch ganz konkrete Maßnahmen, um Schritt für Schritt nicht nur rassismus- und diskriminierungsfreie Räume zu schaffen, sondern auch strukturelle Veränderung zu erzielen. Nachhaltiger Wandel könne jedoch nur durch kritische Selbstreflektion, eine offene Debattenkultur und Partizipation in Gang gesetzt werden.

Vertiefungen durch Workshops

Am Folgetag konnten die Teilnehmer*innen die Fragen des Vortages in einem von vier zur Auswahl stehenden Workshops vertiefen. Dazu wurden im Vorfeld bereits Themenfelder aus der aktuellen Arbeit abgesteckt.

  • Auf die Frage, wie „Kampagnen inklusiver und diversitätssensibel gestaltet“ werden können, gab es im ersten Workshop unter Leitung von Björn Beck (Vorstand DAH) das Fazit: Mut zu neuen Medien. Soziale Netzwerke seien in ihrer Bedeutung nicht mehr zu unterschätzen und böten beispielsweise durch Kooperation mit Influencer*innen zielgruppenspezifischeres Vorgehen. Botschaften sollten außerdem kontinuierlich übertragen werden, unabhängig von nur einzelnen Aktionstagen. Zentraler Problempunkt sei jedoch immer wieder die Ressource „Zeit“, die die Durchführung der Kampagnen letztlich immer wieder maßgeblich beeinflusse. Dennoch: proaktives Vorgehen sei hier gefragt, losgelöst von gewohnten, hin zu neuen Denkweisen!
  • Großes Potenzial für mehr gelebte Diversität liege außerdem in der Durchführung kollegialer Fallberatungen, wie sich im zweiten Workshop herausstellte. Durch ein klar strukturiertes Vorgehen ermöglichten sie die gemeinsame Diskussion expliziter Fälle und Problemstellungen. So könne Raum geschaffen werden, um interne Zusammenhänge im Team aufzudecken und kritische Selbstreflektion zu unterstützen. „Wir benötigen mehr Räume und Methoden, um auch unsere ‚blinden Flecken‘ zu erkennen, die wir aus unseren eigenen Kontexten heraus nicht wahrnehmen“, fasst der Leiter des Workshops, Urs Gamsavar (DAH), das Ergebnis zusammen.
  • Im Workshop um die Diversität der Seminarangebote der DAH stellten sich u.a. „Sprachbarrieren“ und „Gendersensibilität“ als zentrale, zu verbessernde Punkte heraus. Daniel Masch, Tarek Mahjoub (Aidshife Freiburg i.B.) und Steffen Taubert (DAH) sammelten hier konkrete Lösungsvorschläge. Abhilfe könnten mehrsprachige Formate schaffen, in denen Teilnehmende immer die Möglichkeit haben, sich auch in englischer Sprache mitzuteilen. Neben sprachlichen Aspekten sei auch eine gendersensible Ausrichtung der Seminare notwendig. So könnten z.B. Namensschilder mit dem jeweiligen Pronomen einen ersten Schritt darstellen. Außerdem wurde für ein Sensibilisierungstraining insbesondere für langjährig Mitarbeitende plädiert.  
  • Im vierten Workshop vertieften Omer Idrissa Ouedraogo, Christina Laußmann und Carlo Kantwerk (DAH) die Frage: „Wie können wir als Aidshilfe Position gegen Rassismus beziehen?“ Rassismus wirke sowohl strukturell, institutionell als auch individuell. Da wir in dieser Gesellschaft alle rassistisch sozialisiert seien, müsse sich jede*r mit internalisiertem Rassismus auseinandersetzen. Für die DAH als Dachverband bedeute das außerdem, sich nicht auf existierenden lokalen Angeboten auszuruhen, sondern eine intensivere Stellungnahme in einem Positionierungspapier zu verankern. Auch innerhalb der Institution gebe es von Rassismus betroffene Mitarbeitende. Ein offenes Beschwerdemanagement, Räume für Empowerment sowie kontienuierliche Fortbildungen seien daher maßgeblich für eine diversitätssensible Weiterentwicklung der DAH. 

Diskrimierende Haltungen verlernen

Der Fachtag wurde beendet mit dem Aufruf: Den Mut zu haben, diskriminierende Einstellungen und Verhaltensweisen zu besprechen. Dabei auch Fehler machen zu dürfen, Kritik anzunehmen, zu reflektieren und zu verstehen. Diskriminierung sei kein Naturgesetz, sondern ein soziales Konstrukt, welches über Generationen hinweg gelernt sei. Folglich können wir es auch wieder verlernen. Dafür brauche es kritische Impulse und stetige Reflektionsprozesse von Innen und Außen.

Sabrina Weinzierl