Corona: „Resilienz kann man trainieren“

Schlagwörter psychische Gesundheit
Mann im Home Office
Orban Alija/Istockphoto

Interview mit Gabi Jung, Ärztin und Gesundheitswissenschaftlerin

Die Corona-Pandemie fordert von den Mitarbeitenden in den Präventions- und Beratungsprojekten enorme Anpassungsleistungen, die leicht zu einer Überforderung werden können. Wie sich Berater*innen davor schützen können, erläutert die Systemische Beraterin und Gesundheitswissenschaftlerin Gabi Jung.

Ein Beitrag aus HIV-Beratungaktuell 2021/1

Gabi Jung
DAH

Du hast bereits einige DAH-Seminare und Workshops zum Thema „Resilient durch die (Corona-)Krise“ durchgeführt. Was versteht man unter dem Begriff Resilienz?

Resilienz wird definiert als psychische Widerstandsfähigkeit. Es ist die Kompetenz, mit schwierigen Situationen im Leben klarzukommen, ohne sich kleinkriegen zu lassen. Oder salopper formuliert: Wie werde ich zum Stehaufmensch?

Die Corona-Krise bedeutet für alle Menschen eine besondere Belastung. Welchen neuen schwierigen Situationen sind Menschen, die in Aidshilfen und Beratungseinrichtungen arbeiten, ausgesetzt?

Die Berater*innen sind durch ihre Klient*innen letztlich mit der ganzen Bandbreite an Problemen konfrontiert, die sich durch die Pandemie ergeben. Und diese Probleme kommen sozusagen „on top“ zu jenen, die ohnehin Alltag in der Beratung sind.

Welche Auswirkungen der Pandemie werden denn auf diese Weise in die Beratungsgespräche getragen?

Es geht vor allem um die psychosoziale Belastung, um Isolation und Ängste und auch um ganz konkrete Fragen rund um das Thema Corona. Das heißt, es kommen auch neue Fachthemen zur Beratungsleistung hinzu – sei es zum Impfen oder etwa zu Corona-Infektionsrisiken.

In den bisherigen Workshops, die ich zu diesem Thema gegeben habe, wurde eigentlich einhellig immer wieder die Erfahrung geteilt, dass der Gesprächsbedarf in der Pandemiezeit deutlich zugenommen hat. Die Menschen wollen einfach viel erzählen. Das bedeutet, dass die Berater*innen viel mehr als sonst für die Menschen da sein und daher sich umso mehr auch um sich selbst kümmern müssen. Denn wenn man in die Arbeit stark involviert ist, wenn man einfach sehr viel zu tun hat, gerät die Selbstfürsorge schnell aus dem Blick. Deshalb ist es eine besondere Herausforderung, in solchen Situationen auch für sich selbst etwas zu tun.

Wie können Berater*innen sich stärken, um diesen Belastungen standzuhalten?

Ganz wichtig ist die Auseinandersetzung mit sich selbst, um zum Bei-spiel auch die eigenen Ressourcen zu erkennen. Die Erfahrung zeigt, dass viele Menschen sie gar nicht so genau benennen können, obwohl sie selbstverständlich existieren. Doch erst, wenn ich mir ihrer bewusst bin, kann ich sie auch als Werkzeug einsetzen. Und ganz gezielt mit ihnen zu arbeiten, macht dann natürlich auch Spaß, weil dies ja meist positive Dinge sind. Deshalb lohnt es auch, sich diese Ressourcen klar-zumachen. Resilienz ist wie ein Muskel, den man trainieren kann, aber auch trainieren muss.

Was für Ressourcen beziehungsweise Werkzeuge können das sein?

Das ist natürlich immer sehr individuell, aber es gibt eine Handvoll Faktoren, von denen wir wissen, dass sie die Resilienz stärken, etwa Selbstwahrnehmung, Problemlösefähigkeit, Selbstwirksamkeit oder auch der Selbstwert. Auch Genussfähigkeit ist eine sehr wertvolle Ressource. Manchmal erlebe ich Menschen, die sich gar nicht mehr erlauben, etwas zu genießen. Auch der Humor ist wichtig. Dabei geht es allerdings nicht um Galgenhumor, den wir an manchen Stellen sicherlich auch brauchen, sondern um Humor als Möglichkeit, bei manchen Dingen eine innere Distanz zu entwickeln.

Ebenso wichtig für die Resilienz ist zum Beispiel ausreichend Schlaf. Pandemiebedingt erleben wir einen markanten Anstieg an Schlafstörungen. Doch wenn ich nachts nicht schlafe, kann ich mich in dieser Zeit auch nicht regenerieren.

Und wie kann ich meinen Schlaf verbessern?

Durch eine gute Schlafhygiene. Sitze ich abends bis spät vor dem Computer oder schaue ich bis kurz vor dem Zubettgehen aufwühlende Filme? Kann ich nicht abschalten von der Arbeit? All dies und vieles andere können Ursachen für einen unruhigen Schlaf sein. Wenn ich sie kenne, kann ich diese Ursachen auch ausschalten.

Wie finde ich zu meinen ganz persönlichen Ressourcen?

Auch hier ist hilfreich, sich selbst zu befragen: Über welches Wissen verfüge ich? Weiß ich, was ich kann und bin ich stolz darauf, was ich tue?

Hier ist auch über Achtsamkeit zu sprechen: kurz innehalten, sich selbst beobachten, in sich hinein hören. Man vergisst bei der Arbeit etwa schnell, auf Pausen zu achten. Doch um professionell mit den Problemen anderer umgehen zu können, muss es mir selbst gut gehen. Denn nur wenn es mir selbst gut geht, kann ich auch gut arbeiten und beraten.

Inwieweit können die Workshop-Teilnehmenden die neu erworbenen Fähigkeiten, Resilienz aufzubauen, auch im Beratungsalltag einsetzen?

Das hängt natürlich sehr davon ab, mit welchen Zielgruppen man arbeitet, denn diese können ja sehr unterschiedlich sein. Es gibt allerdings Dinge, die man sehr niedrigschwellig und eigentlich überall einsetzen kann. Eine Frage wie „Wann geht es dir gut?“, kann jeder beantworten und sie kann ein guter Einstieg sein, um von einem solchen Punkt aus das Gespräch dann weiterzuentwickeln. Und Berater*innen haben ja die Kompetenz, um mit ihrem Gegenüber eine gemeinsame Ebene und einen Draht zueinander zu finden.

Interview: Axel Schock