Schwule und bisexuelle Männer in Haft beraten

Schlagwörter Haft Beratung MSM

Seit 1990 berät und begleitet das Mann-O-Meter, Berlins schwuler Checkpoint, schwule und bisexuelle Männer, aber auch andere Personen aus dem queeren Bereich in den Berliner Haftanstalten. Marcus Behrens, Psychologe und fachlicher Leiter des Checkpoints, gibt einen Einblick in den Arbeitsbereich.

Hauptaugenmerk lag zu Beginn auf der Prävention vor einer HIV-Infektion, denn die HIV-Pandemie machte sich im Land breit und insbesondere in den Haftanstalten war bei den dort einsitzenden Menschen die Verunsicherung groß. Auch heute noch treffen wir hier Männer, die – entgegen des Klischees des erfolgreichen weißen schwulen Cis-Mannes – wenig Wissen rund um HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen haben, und zudem oftmals auch mit massiven Selbstwertproblemen aufgrund ihrer Homosexualität zu kämpfen haben.

Neben der Arbeit mit den Männern, die dort einsitzen, arbeiten wir auch mit dem Personal der Anstalten. Wir schulen angehende Beamte, den sog. Allgemeinen Vollzugsdienst, zum Thema „Diversity“, halten Vorträge, zuletzt bspw. zum Thema „Chemsex“.

Die Struktur unserer Arbeit

privat
Marcus Behrens, fachlicher Leiter von Mann-O-Meter

Wie in allen Bereichen im Mann-O-Meter arbeiten wir auch im Haftbereich mit ehrenamtlich Mitarbeitenden, die im Vollzug als sogenannte Vollzugshelfer*innen jeweils einen Mann begleiten. Sie suchen ihn mindestens alle 14 Tage für eine Stunde auf. Vor ihrem ersten Einsatz in Haft werden die Mitarbeitenden sorgfältig auf das, was sie in Haft erwarten kann, vorbereitet. Für drei Monate nehmen sie ausschließlich am Plenum der sog. AG Haft teil, das alle 14 Tage im Mann-O-Meter stattfindet. Hier treffen sich alle Ehren- und Hauptamtlichen, um über organisatorische Fragen sowie die laufenden Begleitungen zu sprechen. Damit bekommen neue Kolleg*innen einen guten und fundierten Eindruck, was in Haft auf sie zukommt, mit welchen Aufgaben sie konfrontiert werden und auch, mit welchem Klientel sie dort arbeiten werden. Neben den Sitzungen im Plenum stellen wir außerdem einen sogenannten Hospitationsordner zur Verfügung, in dem sich Informationen zum Haftalltag, zu gesetzlichen Vorschriften und vieles andere findet. Bei Bedarf dient dieser Ordner immer wieder auch als Nachschlagewerk bei organisatorischen Fragen.

Die Herausforderungen in Haft

Aus Sicht des einsitzenden Menschen

Das Leben in Haft versetzt schwule und bisexuelle Männer gefühlt in eine Zeit vor ihrem Coming-Out zurück. Draußen hatten sie sich zumeist ein Umfeld aufgebaut, in dem alle – oder ggf. auch keine*r – von ihrer sexuellen Orientierung wussten, aber sie selber konnten bestimmen, ob und was sie über ihre Privatsphäre veröffentlichten. In Haft ist das anders, denn schon aufgrund des isolierten und engen Zusammenlebens mit anderen kann man bestimmten Fragen nicht ausweichen. Allen voran die Fragen rund um das Sexuelle an sich: Hast du eine Freundin, wer kommt dich da besuchen, was macht deine Familie? Das Aushängen von Postern, auf denen leicht bekleidete Frauen zu sehen sind, gehören zur Tagesordnung. Zu all dem muss sich ein schwuler Mann verhalten und entweder entscheiden, in die Offensive zu gehen, oder aber sich bedeckt zu halten. Zudem herrscht in Haft nach wie vor ein ausgesprochen homophobes Klima, hier insbesondere auch verursacht durch andere Mithäftlinge. In unserer Arbeit hören wir täglich von Beleidigungen und Abwertungen bis hin zu körperlichen Übergriffen. Hier sind wir besonders gefordert, mit dem betroffenen Mann zusammen genau zu überlegen, wie vorzugehen ist, ob es sich lohnt, eine offizielle Beschwerde oder gar eine Anzeige zu machen, denn eines ist klar: Der einsitzende Mann wird dem Täter entweder wieder begegnen oder muss damit rechnen, von Freunden des Täters irgendwie angegangen zu werden. Die Haftanstalt bzw. die Berliner Haftlandschaft zu verlassen: das wird eher nicht gehen.

Neben diesen an sich schon herausfordernden Umständen ist auch das Leben in einer Vollzugsbehörde, und nichts anderes ist eine Haftanstalt, herausfordernd. Alles scheint geregelt, alles muss nach Vorschrift erledigt werden, denn, so das geflügelte Wort, es muss „gerichtsfest“ organisiert sein, sollte es zu Klagen kommen. Für den Alltag hat dies weitreichende Konsequenzen. Egal, ob jemand neue Schuhe braucht, Kleidung, seine*n Sozialarbeiter*in sehen oder etwas anderes möchte: Zunächst sollte er einen Vormelder (das ist ein Vordruck, auf welchem die Personaldaten des jeweiligen Insassen zu schreiben sind sowie sein Anliegen und an wen es weitergeleitet werden soll) schreiben, auf dem genau das angegeben wird. In Haft sollte man also einigermaßen deutsch lesen und schreiben können, was angesichts der herrschenden Herkunftsvielfalt schon eine große Anforderung darstellt. Hinzu kommt, dass es neben diesen vielen formalen Regeln immer auch informelle Wege gibt, die man sich als dort untergebrachter Mensch aneignen muss, um für sich bestimmte Dinge zu erreichen.

Aus Sicht der Mitarbeiter

Wenn man sich in Haft engagieren möchte, solle einem klar sein, dass man ein ehrenamtlich Mitarbeitender in einer Behörde wird. Mal eben etwas schnell organisieren, flexibel zu sein oder eine freundliche Ansprache zu bekommen, ist möglich, aber selten. Es geht, wie es mitunter so schön heißt, alles seinen geregelten Gang und darauf sollte man sich auch einstellen. Gerade deshalb ist es auch wichtig, schwule Männer in Haft zu begleiten, denn dass stressige Umfeld, in dem sie leben, fordert sehr heraus und kann somit psychische Störungen aller Art befördern und zudem auch die physische Gesundheit beeinträchtigen, weil man in Haft ein deutlich höheres Risiko hat, sich mit HIV und anderen übertragbaren Infektionen aller Art zu infizieren. Das Verteilen von Kondomen und Gleitgel, aber auch die Information rund um die PrEP gehören für uns zum Alltag vor Ort.

Neben den Strukturen an sich stellen häufig auch die betreuten Menschen in Haft eine Herausforderung dar: Auf der einen Seite erscheinen sie hochbedürftig, benötigen Zuwendung und Aufmerksamkeit, auf der anderen Seite konfrontieren sie einen mitunter mit einer Sicht auf Moral und gesellschaftliches Zusammenleben, die menschenverachtend und schwierig auszuhalten ist. Die Beziehungsarbeit, die man hier ehrenamtlich leistet, ist also herausfordernd, schult aber auch Mitarbeitende, sensibel und aufmerksam im Kontakt zu sein, um anderen gute Entwicklungsbedingungen bereitzustellen.

Zum Autor:

Marcus Behrens ist Psychologe und arbeitet als fachlicher Leiter von Mann-O-Meter, Berlins schwulem Checkpoint. Dort ist er u.a. für die Leitung des Bereiches Haft und die psychologische Beratung zuständig. Er arbeitet seit 1996 im Berliner Strafvollzug in der Beratung und therapeutischen Versorgung von dort einsitzenden schwulen, bisexuellen und anderen queren Männern. Freiberuflich arbeitet er für die Vermittlungsstelle für externe Psychotherapie im Berliner Strafvollzug und in eigener Praxis als Therapeut, Coach und Berater. Zudem arbeitet er als Dozent für die Bildungsakademie Justizvollzug sowie die Verwaltungsakademie Berlin.

Ehrenamtlich ist er Mitglied im Berliner Vollzugsbeirat, ein Gremium, das den Berliner Justizsenat zur Entwicklung des Vollzuges berät und die Arbeit in den Haftanstalten kritisch begleitet. Hier ist er als stellvertretender Vorstand tätig.