„Anstrengend und beflügelnd zugleich“

Ulrike Hofmeister
© Stefan Lamb

Ulrike Hofmeister vom Checkpoint Aidshilfe Freiburg im Interview mit HIV-Beratungaktuell

Seit 2013 bietet die DAH die Inhouse-Schulung „Ab in die Zukunft“ an. Viele regionale Aidshilfen haben sich seitdem mit Fragen der Zukunftsfähigkeit von Aidshilfe beschäftigt. In einer losen Reihe wollen wir DAH-Mitgliedsorganisationen porträtieren, die sich auf den Weg in die Zukunft gemacht haben. Werner Bock hat bei Ulrike Hoffmeister vom Checkpoint Aidshilfe Freiburg nachgefragt. Aidshilfe-Arbeit kennt Sie seit 1986. Über Herausforderungen und Erfolge erzählt sie in diesem Interview.

Ein Beitrag aus HIV-Beratungaktuell 2022/1

Wie kam es, dass Du hauptberuflich bei der Aidshilfe angefangen hast? Was war damals Deine Motivation – und wie würdest Du die ersten Jahre beschreiben?

Mein Interesse für Menschen mit HIV wurde durch meine Tätigkeit in einer Therapieeinrichtung für Drogenuser*innen in den frühen Achtzigern geweckt. Für mich war schnell klar, dass diese Arbeit anders sein wird, mit sehr viel Pioniergeist und Aufbruchstimmung verbunden ist. Die Hauptthemen waren Aufklärung, Beratung und Sterbebegleitung.

Angst und Panik

In dieser Zeit hatten wir noch keine Medikamente, Angst und Panik griffen um sich. Wir hatten gegen krasse Stigmatisierung anzukämpfen. Es war ein Kampf gegen die Zeit und auf vielen Ebenen: Es ging um die Würde und Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen und der Vielfalt von Sexualität, um die Anerkennung und die Finanzierung un-serer Arbeit, um politische und gesellschaftliche Einflussnahme. Es war sehr viel Kreativität, Flexibilität und Engagement erforderlich – es war anstrengend und beflügelnd zugleich.

Du kannst auf 35 Jahre Aidshilfe zurückschauen: Welche wichtigen Mei-lensteine gab es? Was waren große Umbrüche?

Da fallen mir als erstes die Medikamente ein, 1987 war Retrovir als erstes Medikament auf dem Markt; allerdings noch mit begrenzter Wirkung, aber eben doch ein Hoffnungsschimmer. Dem folgten Kombinationstherapien und bis heute hoch wirksame antiretrovirale Medikamente. Wo noch Jahre zuvor Aidshospize geschaffen wurden, konnten bereits Ende der Neunziger viele dieser Einrichtungen wieder schließen.

Frauenspezifische Forschung, frauenspezifische Versorgungsstrukturen

Die großartige Weiterentwicklung der frauenspezifischen Forschung, welche die unterschiedliche Wirksamkeit der ART bei Frauen und Männern aufgrund unterschiedlicher Faktoren untersuchte, konnte den Standard der Dosierung verändern. In Freiburg haben wir das Kooperationsprojekt „VIVA La Donna – medizinisches und psychosoziales Versorgungsnetzwerk für Frauen mit HIV & Aids und Schwangere“ entwickelt, das frauenspezifische Forschung unterstützte und frauenspezifische Versorgungsstrukturen verbessert hat. HIV und Schwangerschaft war ab diesem Zeitpunkt kein Ausschlusskriterium mehr und heute ist eine natürliche Entbindung ebenso wie Stillen möglich.

„frauenspezifische Forschung ermöglicht angemessene Dosierung der ART“

Ein weiterer – sehr bedeutender – Meilenstein war die Abschaffung des § 175! Aidshilfearbeit war von Anfang an auch Lobby- und Gleichstellungsarbeit für LSBTIQ. Mit dem Outing von vielen prominenten Künstler*innen jeglicher Sparten wurde HIV/AIDS sprech- und unterstützungsfähig in der Gesellschaft.

Insgesamt bin ich überzeugt, dass der Ansatz der zielgruppenspezifischen Verhaltens- und Verhältnisprävention unter Beteiligung der Communities eine bedeutende Rolle im Erfolg der Arbeit der Aidshilfen gespielt hat.

Checkpoint Aidshilfe Freiburg

Checkpoints und PrEP als Kassenleistung

Ein weiterer richtungsweisender Meilenstein ist für mich die Entwicklung der bundesweiten Checkpoints und die PrEP als Kassenleistung. Zuvor waren Aidshilfen äußerst kritisch mit Tests (=Zwangstests) um-gegangen, er wurde regelrecht abgelehnt.

Deshalb stellt das neu entwickelte Testregime in den Checkpoints mit dem Fokus der Unterbrechung von Infektionsketten und frühestmöglicher Therapiemöglichkeit einen Paradigmenwechsel für mich dar.

Was waren für Dich persönlich die größten Herausforderungen?

Anfangs war es vor allem die Tatsache, so viele wunderbare junge Menschen sterben zu sehen und die eigene Hilflosigkeit dabei zu spüren.

Die Arbeit war auch immer begleitet von Finanzierungsnöten, einer Mangelverwaltung unter extremen Bedingungen und dieser Rechtfertigungsdruck gegenüber den Geldgebenden. Der Umstand, in der Politik, in den Verwaltungen und in der Gesellschaft mit vielen begrenzten Kleingeistern zu tun zu haben, die oft homophob waren. Und die Stigmatisierung.

Welche Errungenschaften empfindest Du als besonders gelungen?

Die Aidshilfen haben eine sehr wichtige gesellschaftliche Aufgabe übernommen: Sie haben geholfen, die LSBTIQ-Bewegung sichtbar zu machen und Sprachrohr zu sein. Sie haben sich immer für die Rechte benachteiligter und vulnerabler Gruppen eingesetzt, wie beispielsweise im Drogenbereich und für Zugewanderte.

Visionäre Projekte

Rückblickend freue ich mich über die vielen visionären Projekte, die ich gemeinsam mit meinem Team bedarfsbezogen entwickelt habe, die in vielfacher Weise trendprägend sind und waren – hier eine kleine Auswahl:

  • Flucht und Gesundheit (FluG), ein Kooperationsprojekt, das 2007 den Deutschen Präventionspreis erhielt und nach weiteren 10 Projektjahren und verschiedenen inhaltlichen Weiterentwicklungen endlich verstetigt werden konnte.
  • GentleMan, ein Projekt zur MSM-Prävention, das Jahre später zum landesweiten Projekt in BW wurde.
  • Checkpoint Plus Freiburg (CPP), eine Test- und Beratungsstelle mit integrierter Zweigpraxis, die Prävention, sexuelle Gesundheit, Beratung, Testung und medizinische Versorgung vereint. Im CPP werden zusätzlich aufsuchende Beratungen und Testungen in der Landeserstaufnahmestelle Freiburg und im Sexarbeiter*innenmilieu mit verschiedenen Kooperationspartnern angeboten.

Der CPP Freiburg ist 2019 als Leuchtturmprojekt neben dem Checkpoint Plus Berlin an den Start gegangen, ist überaus erfolgreich und steht nun vor der großen Aufgabe, die Angebotspalette zu veran-kern.

Und wo bist Du vielleicht auch ernüchtert, weil bestimmte Dinge nicht erreicht wurden?

Die Themen Antidiskriminierung und die medizinische Versorgung von Menschen ohne Papiere sind für mich nach wie vor sehr große Baustellen. Da wurde von unserer Seite sehr viel Herzblut eingebracht, die Ergebnisse sind allerdings dürftig geblieben.

Wo siehst Du „die großen Themen“, die Aidshilfe aktuell angehen muss?

Die Antidiskriminierungsarbeit ist aus meiner Sicht ein extrem wichtiger Teil unserer Arbeit, die sich in verschiedensten Facetten ausgestalten kann.

Die erfolgreiche Marke „Aidshilfe“ im Namen anpassen

Und dazu gehört auch, die wirklich erfolgreiche Marke „Aidshilfe“ im Namen zu verändern bzw. anzupassen. Wir haben in den vergangenen Jahren eine erfolgreiche Kampagne „Aids beenden“ verfolgt und uns auf sexuelle Gesundheit und Grundversorgung von STIs konzentriert.

Daraus ist auch der facettenreiche Checkpoint Plus Freiburg entstanden, der übertragbar in andere Städte ist, und wo es darum geht, die nachhaltige Finanzierung zu sichern. Wir brauchen weiterhin gute Lobbyarbeit in der Politik und Vernetzung mit der Medizin.

Die Gesundheitsversorgung von Personen ohne Papiere und ohne Krankenversicherung sind meines Erachtens ebenso weitere bedeutende Punkte unserer Arbeit, die wir forciert angehen sollten. Wir be-finden uns in einem großen Umstrukturierungsprozess und dazu gehört auch ein moderner Auftritt mit digitalen Angebotsstrukturen, die eine bundesweite flächendeckende Erreichbarkeit schaffen.

Aidshilfe war immer bereit für den Wandel und bekannt für eine innovative Ausrichtung, deshalb bin ich zuversichtlich, dass uns dieser Loop ebenfalls gelingt.

Das Interview führte Werner Bock

DAH-Inhouse Seminar „Aidshilfe zukunftsfähig gestalten“

In diesem für Mitgliedsorganisationen der Deutschen Aidshilfe kostenfreien Inhouse-Seminar besteht die Möglichkeit, die eigene Arbeit zu reflektieren und auf den Prüfstand zu stellen. Welche Schwerpunkte sind in Zukunft zu setzen? Welche Projekte sollen gefördert, welche Prioritäten gesetzt werden? Wo entstehen neue Bedarfe und welche Ressourcen braucht es, um darauf reagieren zu können? Mit Fragestellungen der Organisationsentwicklung werden – unter Berücksichtigung der Gegebenheiten vor Ort – Klarheit und Überblick geschaffen, um sinnvolle und tragfähige Entscheidungen für die Zukunft der Einrichtung zu treffen.