Wer spricht mit trans* und nicht-binären Menschen über Sexualität?
Gedanken für mehr Leichtigkeit in der Beratung
Oft haben wir den Eindruck, dass unsere Gesellschaft mittlerweile offener und vielfältiger mit Sexualität umgehen kann. Auch scheint es leichter, die eigene Geschlechtsidentität zu zeigen. Durch diverse Berichterstattungen, Internet und soziale Medien wird das Thema gerne als „in der Gesellschaft angekommen“ wahrgenommen. Tatsächlich wird eine frühzeitige Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtsidentität und möglichen Inkongruenzgefühlen erleichtert.
Problematisch wird es, wenn Anliegen über Transitionswege hinausgehen. Die eigene Rolle im sozialen Miteinander zu finden und dabei wirklich bei sich anzukommen, beinhaltet auch die beziehungs- und gesundheitsrelevante Frage der eigenen Sexualität. Hier schließt sich ein weiterer hoch individueller Weg an, der sich im Laufe des Lebens wandeln und vielfältig vertiefen kann. Doch wer spricht darüber, wie Sexualität mit hormonell veränderten Genitalien gelingen kann? Oder wie viel Mut es braucht, sich in cis-dominierten Szenen in ganzer Vielfalt zu zeigen?
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Beratungsarbeit mit trans* und nicht-binären Personen rund um Sexualität und Körpervielfalt aus der Perspektive eines professionellen Peer-Beraters. Sie entbehren der Vollständigkeit und sollen vielmehr Mut zum Einstieg ins Thema machen. Um professionelle, wertschätzende Beratung zu ermöglichen, ist eine aufgeklärte und sensible Haltung in Bezug auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt unumgänglich. Dabei ist zu betonen, dass professionelle Transitionsbegleitung im Idealfall von ausgebildeten Peerberater*innen im Kontext spezialisierter Beratungsstellen für Geschlechtsdiversität durchgeführt werden sollte.
Kurzer Abstecher in die Grundlagen
Im alltäglichen Verständnis bezieht sich Geschlecht meist auf körperliche Merkmale. Es wird bei der Geburt nach einem normativen Muster bestimmt und an äußerlichen Geschlechtsmerkmalen sowie Hormonen, Chromosomen und (inneren) Geschlechtsorganen gemessen. Ergänzend zu diesem Verständnis existieren gesellschaftlich, sozial und kulturell konstituierte Geschlechterrollen, die meist noch in männliche versus weibliche Geschlechtsidentität eingeteilt werden. Die zugeschriebenen Rollen sind nicht naturgegeben. Sie beruhen auf kulturellen Traditionen und gesellschaftlichen Konventionen.
Trans* und nicht-binäre Menschen identifizieren sich nicht oder nicht voll mit dem bei der Geburt zugeordneten Geschlecht; während cis Menschen dieses für sich als passend erleben.
Nicht alle „nicht-cis“-Geschlechtlichen fühlen sich mit den Begriffen Trans* und Nichtbinarität richtig benannt. Alternative Begriffe sind ebenfalls gängig. Maßgebend ist die Selbstkundgabe der Person.
Zentrales Merkmal bei Trans* und Nichtbinarität ist das Gefühl der fehlenden Passung zwischen der erlebten Geschlechtsidentität und den äußeren Umständen wie Körpermerkmalen (Geschlechtsinkongruenz). Dysphorie ist der Leidensdruck, der daraus potenziell resultieren kann.
Sexualität feiern (lernen)
Für trans* und nicht-binäre Menschen ist ihre Sexualität oft eng verknüpft mit ihrer Geschlechtsidentität und kann im Laufe der Transition vielfältige Entwicklungsschübe erleben. Häufig geht es darum, Dysphorie zu überwinden oder als wertvollen Grenzstein für eigene Bedürfnisse zu integrieren. Oft ist die eigene Körperlichkeit mit vielen Verletzungen bis hin zu traumatischen Erfahrungen verknüpft.
Erklärtes Ziel ist, Worte für die eigenen Körperteile und Bedürfnisse zu finden und damit zunächst sprechfähig zu werden. Gerade durch Unsicherheit hoffen Menschen, ihr Gegenüber werde ahnen, was sie sich wünschen oder was sie mögen. Dies ist bereits in cis-heteronormativen Kontexten mehr als fraglich; die Vielfalt genderqueerer Menschen, ihrer Körper und Sexpraktiken macht es unmöglich. Für guten Sex ist es unumgänglich, mit den Beteiligten zu sprechen und die eigenen Bedürfnisse, Grenzen und Wünsche deutlich zu artikulieren. Was banal klingt, wird durch Geschlechtsdysphorie und oft jahrelanges Verstecken zu einer noch größeren Herausforderung. Letztendlich aber reichen Worte allein nicht aus. Die Menschen müssen sich vernetzen, Erfahrungen und Fähigkeiten austauschen und entspannt über persönliche Grenzen, Orgasmen und Lust in Kontakt kommen.
Eine vielbedachte Frage ist auch die nach einem guten Moment, sich bei potenziellen Sexualpartner*innen als trans* oder nicht-binär zu outen. Viele haben erlebt, dass ihnen Täuschung oder gar Lüge vorgeworfen wurde, wenn sie sich outeten. Hier spielen viele Aspekte hinein: Wie sicher fühle ich mich in der Situation? Wie notwendig ist das Outing? Kann ich frei über das Outing entscheiden oder werde ich von außen gezwungen? Möchte ich über meine Geschlechtsidentität sprechen?
Oft zieht diese sehr persönliche Entscheidung weitere Entscheidungen nach sich. Outet sich die Person, wird es weitere Fragen geben, die situationsbezogen aufkommen können – Fragen nach Körperlichkeit, bisherigen Transitionsschritten, Zielen; und häufig auch ungefragte Meinungsäußerungen des Gegenübers. Statt eines Austauschs über Bedürfnisse können dann z.B. direkte Rückfragen zum aktuellen Genitalstatus kommen oder „Komplimente“, wie beeindruckend dieser Weg sei.
Dysphorie macht es auch schwer, ein liebevolles Körpergefühl zu entwickeln. Dabei kann ein achtsamer Umgang mit dem eigenen Körper auch Safer-Sex-Strategien einfacher werden lassen und Hinweise auf eine STI oder Schwangerschaft wahrnehmbar machen. Alle Beteiligten müssen sich jedoch bewusst sein, dass die persönliche Akzeptanz des eigenen Körpers und seiner aktuellen Form sehr unterschiedliche Stadien haben kann. Wie auch cis Personen mögen manche trans* und nicht-binäre Menschen ihren Körper und seine einzelnen Bereiche, manche lehnen einzelne Aspekte ab und wieder andere mögen niemanden in die Nähe bestimmter Körperstellen lassen. Auch hier hilft es, sich selbst immer wieder klarzumachen, dass die Kompetenz und empfundene Leichtigkeit, über den eigenen Körper zu sprechen und ihn sexuell mit anderen zu genießen, nicht von außen sichtbar sind.
In der Beratung können auch weitere Faktoren besprochen werden, die einer Person dabei helfen, sich in sexuellen Kontexten sicher(er) zu fühlen. Sicher sein bedeutet auch, dass eine Person in ihrer Geschlechtsidentität wahrgenommen und ernstgenommen bleibt, auch wenn sie sich mit scheinbar „unpassenden“ Körperteilen zeigt. Durch das Gefühl der Sicherheit wird für die meisten Menschen das Lustempfinden gesteigert, da sie spontan und bewusst in Beziehung zueinander gehen können.
Für Berater*innen bedeutet das auch, dass ihre Annahmen, was Konsens ist, immer wieder hinterfragt und erweitert werden. Viel zu oft gehen wir davon aus, den „richtigen“ Zustand von Genitalien zu kennen, unter denen sie als begehrenswert oder sexy angesehen werden. „We should also consider the not-so-radical possibility that we’re going about this the wrong way. Because penises can be just as sexy when they’re not erect.“ (Bellwether 2010)
Haltungstipps
In der gesellschaftlichen Wahrnehmung herrscht die bisherige Psychopathologisierung weiterhin vor. Dabei werden Verhaltensweisen, Empfindungen oder Körper(teile) als krankhaft betrachtet, sobald sie von der „Normvorstellung“ abweichen. Aus vorherigen Erlebnissen erwächst oftmals eine Vorsicht gegenüber Behandler*innen und Unterstützungsangeboten. Im Vergleich zur cis Mehrheitsgesellschaft nehmen trans* Personen seltener medizinische Hilfe oder Vorsorge in Anspruch, kämpfen jedoch häufiger mit psychischen Erkrankungen. Trans* Personen konsumieren tendenziell mehr Substanzen und Alkohol und leben signifikant häufiger mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen und/oder HIV (U.S. Transgender Survey 2015).
Beratende sollten sich eigener Erfahrungshintergründe bewusst sein und sich mit der eigenen geschlechtlichen Identitätsentwicklung auseinandergesetzt haben. Dazu zählen die Auseinandersetzung mit Lebensbedingungen und Privilegien als cis Person und das Hinterfragen von sozialisierten cis-, hetero-, homo- und trans*normativen Vorannahmen sowie von binären Geschlechterkonstrukten und Rollenerwartungen.
Auch Bedürfnisse und Wünsche nach körperlichen Veränderungen können thematisiert werden sowie die vorzeitige Beendigung der Fertilität. Dabei kommt Beratenden eine wichtige Rolle bei der Entpathologisierung zu: Wenn sie Alternativen zur cis-heteronormativen Geschlechtervorstellung sprachlich und inhaltlich validieren, werden auch internalisierte trans*feindliche Aspekte der Ratsuchenden bearbeitbar. Unterstützend wirkt dabei, wenn auf Krankheitsbezeichnungen verzichtet wird – und alternativ individuelle Selbstbezeichnungen wertfrei und ohne Korrektur verwendet werden. Dies gilt auch für die Benennung von Körperteilen. Ziel ist ein freudvoller und neugieriger Umgang mit Körpern, Wünschen, Bedürfnissen und Intimität. Dies wird unterstützt durch die Würdigung zwischenzeitlicher Lösungswege sowie den Schutz individueller Grenzen, inklusive Wahrung der Intimsphäre.
Dr. Daniel J. Masch
Literatur und Onlineressourcen
Bellwether, M. (2010): Fucking Trans Women; online
Constantinides, D. et al. (2013): Trans Sex Activity Book
Günther, M. (2018): Leid* Erfahrungen von Scham und Verlust bei trans* Personen. Leidfaden, 7(2), S. 12–18
Hahne, A. (2021): Transmenschen differenziert wahrnehmen. Spektrum der Mediation, 84, S. 39–41
Hamm, J. & Stern, K. (2019): Einblicke in die Trans*Beratung – Praxis, Haltung, Reflexion. In: Naß, A., Rentzsch, S., Rödenbeck, J., Deinbeck, M. & Hartmann, M. (Hrsg.): Geschlechtliche Vielfalt (er)leben – Empowerment und Selbstwirksamkeit von trans* und intergeschlechtlichen Menschen. Geschlechtliche Vielfalt (er)leben. Band II. Gießen: Psychosozial, S. 15–32
James, S. et al. (2016): The Report of the 2015 U.S. Transgender Survey; online
Roche, J. (2019): Queer Sex: A Trans and Non-Binary Guide to Intimacy, Pleasure and Relationships. London &Philadelphia: Jessica Kingsley
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