Der Medizin-Rat

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© DAH | Bild: Renata Chueire

Die Person, die immer alles gefragt wird und die zwischen Wissenschaft und der Haltung von Aidshilfe vermitteln muss: Der/Die Medizinreferent*in für Medizin und Gesundheitspolitik bei der Deutschen Aidshilfe.

Seit Juni 2022 bekleidet Axel Jeremias Schmidt dieses Amt neu und stellt sich hier in einem Interview vor.

Deutsche Aidshilfe e.V.

Lieber Axel,
du hast eine ganze Menge wissenschaftlicher Projekte betreut und bist in verschiedenen medizinischen Einrichtungen und Netzwerken zu Hause. Was ist für „uns Aidshilfemitarbeiter*innen“ wichtig, über deine bisherige Laufbahn zu wissen?

In die Arbeit des Verbandes bringe ich sowohl eine ärztlich-medizinische als auch eine sozial- und infektionsepidemiologische Expertise ein. Ich habe in HIV-Schwerpunktpraxen und Checkpoints gearbeitet und eine STD-Sprechstunde geleitet. Wissenschaftlich habe ich vor allem zu HIV, STI und Hepatitis C gearbeitet, bei MSM, schwulen Männern, Transpersonen und Sexarbeiterinnen.

Was erwartest du in der Aidshilfearbeit, was dir im Klinikalltag nie begegnen würde? Und: Was wirst du vermutlich vermissen?

Vermissen werde ich vermutlich den täglichen wissenschaftlichen Austausch zu epidemiologischen Fragestellungen, das Unterrichten von Studierenden und die Wertschätzung durch meine Patienten. Von der Aidshilfearbeit erwarte ich ein konstruktives gemeinsames Verfolgen gesundheitspolitischer Ziele für marginalisierte und besonders vulnerable Gruppen: z.B. sexuelle Minderheiten, Menschen, die Drogen gebrauchen, und nicht zuletzt für Menschen mit HIV.

In welcher Stadt warst du zuletzt „zu Hause“?

In London und in Bern.

Welche Sprachen sprichst du denn?

Neben Deutsch – Englisch und Spanisch. Ich verstehe Französisch und die meisten Schweizer Dialekte. Mit Bärndütsch habe ich es aber immer noch schwer.

Und welches war früher dein liebstes Schulfach?

Mathematik.

Auf was freust du dich bei deiner Arbeit in der Deutschen Aidshilfe am meisten?

Darauf, mein Wissen und meine Erfahrungen der Community zur Verfügung zu stellen, nicht einer Regierungsbehörde.

Gibt es schon jetzt eine Idee, die du besonders gerne in der DAH verwirklichen möchtest?

Ich fände es wichtig, dass sich Aidshilfen und Checkpoints aktiver in die Forschung zu den Communitys einbringen, die sie vertreten.

Welches Projekt liegt dir am meisten am Herzen?

Ich bin überrascht, wie relativ wenig verbreitet die PrEP in Deutschland ist, trotz der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung vor drei Jahren. Der breite Zugang zur medikamentösen HIV-Prophylaxe muss verbessert werden, vor allem außerhalb der deutschen Metropolen. Die Beschränkung der Abgabe auf HIV-Schwerpunktpraxen ist für ländliche Regionen problematisch. Aus einer Schweizer oder UK-Perspektive ist auch das Angebot der deutschen Checkpoints sicherlich noch ausbaufähig – in Deutschland gibt es hier immer noch viele Hindernisse. Schwule und bisexuelle Männer werden in Deutschland immer noch bei der Krebsprävention benachteiligt; es ist nicht nachvollziehbar, warum hier – anders als beispielsweise in England, den USA oder der Schweiz – die HPV-Impfung nur bis zu einem Alter von 17 Jahren empfohlen wird, ohne dass die erhöhte Betroffenheit schwuler Männer durch Analkrebs auch nur erwähnt wird. Aktuell erleben wir in der Diskussion um den Zugang zur Impfung gegen ‚Affenpocken‘, dass Schwule Gesundheit offenbar von wesentlichen Akteur*innen nicht als Teil der Öffentlichen Gesundheit gesehen wird. Hätten wir nicht 2500 Fälle bei schwulen Männern, sondern – proportional gerechnet – eine Viertelmillion Fälle in der Allgemeinbevölkerung, wäre der Zugang zu wirksamen Impfungen wohl schneller organisiert worden.

Was hat dir denn bisher am meisten Spaß gemacht?

Mein Herz als Aktivist*in auszuleben.

Und was regt dich schon jetzt total auf?

Wie kompliziert es in Deutschland zu sein scheint, nachhaltige bundesweite Finanzierungen im Bereich sexueller Gesundheit durchzusetzen.

In zahlreichen Fachportalen findet man deinen Namen – du hast viele Veröffentlichungen vorzuweisen. Willst du weiterhin so viel publizieren oder setzt du nun andere Schwerpunkte deiner Arbeit?

Die schiere Anzahl von Publikationen wird häufig überbewertet. Ich habe immer versucht, in meinen Publikationen Themen zu besetzen, die für Aidshilfearbeit wichtig sind. Zum Beispiel die Frage der sexuellen Übertragung von Hepatitis C, die Versorgungslandschaft hinsichtlich sexuell übertragener Infektionen im europäischen Vergleich oder die Schätzung der Schweizerischen MSM-Populationen in 83 Regionen. Die wenigsten Publikationen sind innerhalb meiner Arbeitszeit entstanden, von Abschlussberichten abgesehen. Insofern wird sich zeigen, wie viel Zeit mir die DAH noch lässt …

In der Wissenschaft kennt man dich vor allem als Fachperson zu HIV und Hepatitis, in der schwulen Welt kennen dich die Leute meist aufgrund deiner Federführung bei den EMIS-Studien 2010 und 2017. Kann die DAH aus deiner Sicht davon profitieren?

Es schadet sicherlich nicht, jemanden im Verband zu haben, der epidemiologische Fragen aus der Community-Perspektive stellt und beantwortet und mit seiner Expertise strukturelle Defizite aufzeigen und politische Forderungen begründen kann, denke ich. Das steht uns als NGO gut zu Gesicht – wer sollte das tun, wenn nicht wir?

Vielen Dank, Axel Jeremias!

Klaus Purkart