Sexualität ansprechen lernen – DAH Seminar im wissenschaftlichen Praxischeck

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Wie rede ich mit meinen Patientinnen und Patienten über Sexualität? Wie berate ich angemessen zu HIV/STI-Risiken und Schutzmöglichkeiten? Das Projekt “Let’s talk about Sex – reloaded” (LTAS) hat für diese Aufgaben Ärztinnen, Ärzte und Medizinstudierende im Blick. Eine zusammenfassende Auswertung der Seminare für Medizinstudierende ergab, dass das Format eine große Bereicherung für die Teilnehmenden darstellt. Das Training von Kommunikationskompetenz ist sowohl in Präsenz als auch online möglich.

PD Dr. med. Philipp Linde 

Warum es ein Gespräch braucht

Die Teilnehmenden am Seminar LTAS erhalten für die Teilnahme an der Fortbildung vier Zertifizierungspunkte der Kategorie C. Aber das ist nicht der eigentliche Anreiz für die Teilnahme: In medizinischen Fortbildungen, die wir bisher kennen, werden ausschließlich wissenschaftliche Inhalte vermittelt und diskutiert. Hier wird aber vor allem über das „Wie“ gesprochen: Wie komme ich mit den Patientinnen und Patienten in Kontakt, wenn wir über heikle Themen sprechen müssen? Mediziner*innen werden mit dieser Frage in ihrer Ausbildung häufig allein gelassen und finden im Verlauf ihrer täglichen Praxis irgendwann selbst eine Antwort, wie sensible Fragen zur Sexualität ins Patient*innengespräch integriert werden.

In vielen Sprechstunden bleibt Sexualität unausgesprochen – aus Unsicherheit, Zeitdruck oder der Sorge, Grenzen zu verletzen. Dabei entscheidet eine respektvolle Sexualanamnese oft darüber, ob Beschwerden verstanden, Risiken erkannt und passende Beratungs- und Therapiewege eröffnet werden. LTAS setzt hier an: mit klaren Leitfragen, gendergerechter Sprache und einem Rahmen, in dem auch eigene Haltungen reflektiert werden. Das Projekt wird von der Deutschen Aidshilfe (DAH) organisiert – in Kooperation mit dem Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG) und dem Verband der Privaten Krankenversicherung e. V. (PKV).

Was so einfach klingt und immer wieder so wichtig ist: Den Teilnehmenden wird ermöglicht, Erfahrungen aus ihrem beruflichen Alltag einzubringen, ihre eigenen Haltungen zu hinterfragen und passende Kommunikationsstrategien kennenzulernen und weiterzuentwickeln. Hierbei steht der Abbau von persönlichen Barrieren und Grenzen in der Kommunikation im Mittelpunkt. Durch praktische Übungen, interaktive Methoden und mit speziell geschulten Dozent*innen aus der Community sollen Kompetenzen ausgebaut und praxisnahe Hilfestellungen vermittelt werden.

Eine wissenschaftliche Auswertung des Seminars LTAS durch Linde et al. zeigt: Wer Sexualanamnese übt, gewinnt spürbar an Sicherheit – in Präsenz wie online. Für Beratung und Lehre bietet das Format greifbare Anknüpfungspunkte.

Was im Seminar passiert

Die Teilnehmenden erarbeiten eine strukturierte Gesprächsführung und erproben sie in Rollenspielen. Feedback kommt von Peers und Lehrenden – wertschätzend, konkret und leicht umsetzbar. Standardisierte Patient*innen sind dabei nicht zwingend nötig; entscheidend ist ein geschützter Raum, in dem Formulierungen getestet, holprige Stellen geglättet und ein eigener Stil erforscht und letztlich gefunden wird. Das funktioniert in Präsenz ebenso wie digital.

Was es bringt

Rückmeldungen aus mehreren Jahrgängen Medizinstudierender an vier bundesweiten Medizinischen Fakultäten haben ein klares Bild ergeben: Teilnehmende gewinnen mehr Kommunikationssicherheit, einen besseren Überblick über medizinisch relevante Themen und eine professionellere Haltung. Besonders geschätzt wurde das direkte Ausprobieren in alltagsnahen Fallbeispielen. Natürlich bleiben dabei auch Lücken: Die Selbsteinschätzung ersetzt weder eine strukturierte Bewertung von Fähigkeiten noch die Kenntnisse aus der Patient*innenakte. Umso sinnvoller sind Follow-ups im longitudinalen Curriculum der Mediziner*innen-Ausbildung.

Was Fachpraxis und Lehre mitnehmen können

LTAS ist leicht anschlussfähig: Elemente lassen sich in Beratungssettings, Fortbildungen oder Skills-Labs integrieren. Wer starten will, beginnt am besten mit einem eineinhalbstündigen Seminar zu Einstiegsfragen und inklusiver Sprache – und baut das Training schrittweise aus. Darüber hinaus bietet das Projekt ein spezifisches Fortbildungsmodul für Medizinische Fakultäten. Neben dem Angebot von halb- und ganztägigen Workshops für Studierende werden medizinische Fakultäten bei der Implementierung der Inhalte in das Ausbildungscurriculum durch Schulungen für Hochschuldozent*innen und studentische Tutor*innen begleitet.

Weitere Inhalte der Fortbildungsreihen sind:

  • Die Vermittlung von aktuellem Wissen hinsichtlich Übertragungswegen, Diagnostik und Behandlung von HIV/STIs sowie von Präventionsmethoden;
  • die Zahl der Spätdiagnosen von HIV zu senken, die mit einem Drittel der HIV-Neudiagnosen immer noch deutlich zu hoch ist;
  • das Wissen über die Lebenswelten von Menschen mit HIV zu vermitteln und Diskriminierung insbesondere im Gesundheitswesen abzubauen;
  • das Wissen über die Lebenswelten von Menschen unterschiedlicher sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten zu vermitteln.

Ein Beitrag von Priv.-Doz. Dr. med. Philipp Linde, Klinik und Poliklinik für Radioonkologie, Cyberknife- und Strahlentherapie Universitätsklinik Köln (AöR). Philipp Linde ist seit vielen Jahren als Trainer für das Projekt “Let’s talk about Sex – reloaded” (LTAS) tätig.

Key Takeaways

  • Sensible Themen werden leichter, wenn man sie übt – Struktur hilft, Nähe bleibt.
  • Inklusive, stigmaarme Sprache öffnet Türen und reduziert Barrieren.
  • Rollenspiele plus konkretes Feedback liefern schnelle Lerngewinne – auch online.
  • Entscheidend ist eine Haltung, die Vielfalt anerkennt, Stigma vermeidet und Vertrauen schafft

Quellen